Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil III 1917 - 1955

Die Russlanddeutschen unter der Sowjetmacht

3 Stalinistische Herrschaft und Russlanddeutsche

3.1 Kollektivierung, Entkulakisierung und daraus resultierende Hungersnot 1932/33 und die Russlanddeutschen

3.1.2 Entkulakisierung

Die Realisierung der ehrgeizigen Industrialisierungspläne – sie dominierten die beiden Fünfjahrpläne zwischen 1928 und 1937 in herausragender Weise – erforderte die Bereitstellung immenser Finanzmittel. Die Umschichtung des Staatsbudgets war dafür nicht ausreichend. Es wurde erforderlich, Erträge aus dem Agrarsektor für die Verwirklichung der Planung zu mobilisieren. Zu diesem Zweck wurden die Besteuerung der Bauern und gleichzeitig die staatlichen Aufkaufpreise und die Preise für Industrieerzeugnisse erhöht.

Die Folgen waren absehbar. Die Unzufriedenheit der Bauern wuchs und das staatliche Getreideaufkommen sank. Die Bauern zogen es vor, ihren Getreideüberschuss an so genannte "Spekulanten" zu verkaufen. Diese Entwicklung mündete in eine regelrechte Getreidekrise. Die Industrialisierung geriet in Gefahr.

Die Partei- und Staatsführung reagierte mit außerordentlichen Maßnahmen link, gegen die sich passiver bäuerlicher Widerstand link formierte.

Als Ausweg aus dieser krisenhaften Situation wurde die umfassende Kollektivierung der Landwirtschaft betrachtet. Im Zuge der nun einsetzenden administrativen Massenkollektivierung wurde auch die Liquidierung der kulakischen Landwirtschaftsbetriebe in Angriff genommen. Im November 1929 erschien in der Prawda ein Artikel von Stalin, in dem die Beseitigung der Kulaken link als Klasse und die durchgängige Kollektivierung der Landwirtschaft propagiert wurde. Damit setzte der Prozess der umfassenden und endgültigen Entkulakisierung und Kollektivierung der Landwirtschaft, auch als Große Wende bezeichnet, ein. Die bei der Entkulakisierung angewandten Methoden knüpften an die früheren Restriktionen link an.

Im Februar 1930 wurde ein Gesetz über die Auflösung der Kulakenwirtschaften und den Umgang mit ihrem Besitz erlassen. Die Kulaken wurden in drei Kategorien link eingeteilt. Der Besitz der enteigneten Kulaken – Land, Vieh, landwirtschaftliche Geräte, Häuser und Stallungen – ging in den "unteilbaren Fonds" der Kolchosen über.

In der Wolgarepublik wurde 1930 eine "Kommission link zur Liquidierung des Kulakentums" gebildet.

Ab 1934 wurde die Entkulakisierung auch auf Mittelbauern ausgedehnt, die keine Lohnarbeiter oder Gesinde beschäftigten und die keine zwei Pferde oder Kühe besaßen. Offiziell wurde 1933 die Zahl der inhaftierten Kulaken mit 800.000 angegeben.

Vor Entkulakisierung und Kollektivierung flohen zehntausende Russlanddeutsche. 1929 zogen rund 14.000 aus den Siedlungsgebieten in Sibirien, dem Kaukasus, der Ukraine und dem Wolgagebiet nach Moskau, um von hier ihre Ausreise link durchzusetzen.

Die Bilanz der Entkulakisierung link war in jeder Hinsicht schrecklich. Nachfahren von deutschen Kolonisten aus dem Schwarzmeergebiet zeichneten in ihrem Erlebnisbericht ein Bild von der Willkür und der Repression bei der Entkulakisierung.
 
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