Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil III 1917 - 1955

5 Der Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion und die Konsequenzen für die Russlanddeutschen

5.2 Die Deportation der Deutschen in der Sowjetunion

5.2.1 Zerstreuung als Vernichtungsmethode

Zu den Stalinschen Vorstellungen über die Nationalitätenpolitik gehörte die These, dass die kleinen Völker – die so genannten fließenden Völker – im "objektiven" Prozess der Vereinigung aller Sowjetvölker zu einem einheitlichen Sowjetvolk als erste der ethnischen Assimilierung (d. h. praktisch der Russifizierung) unterliegen müssten. Zu diesen kleinen Völkern gehörten – neben Krimtataren, Tschetschenen, Kalmücken u. a. – auch die Deutschen in der Sowjetunion, also jene Völker, die später im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg der Deportation unterlagen.

Die Deportation besitzender oder unbotmäßiger Angehöriger nationaler Minderheiten war ein wesentliches Element Stalinscher Gesellschaftsveränderung. Dies zeigten z. B. die Deportationen im Rahmen der "Entkulakisierung" Anfang der dreißiger Jahre. Von diesen Aktionen war die deutsche Minderheit überproportional betroffen.

Weitere administrative Maßnahmen richteten sich seit 1935 gegen die Autonomie-Regelungen (Selbstverwaltung) und das kompakte Siedeln der deutschen Minderheit in der Ukraine und im Altai-Gebiet. Die Selbstverwaltung und das kompakte Siedeln sind jedoch grundlegende Voraussetzungen für den Erhalt einer ethnischen Gemeinschaft.

Die nationalen Rayons außerhalb des Wolgagebietes wurden bis 1939 regelrecht zersplittert und die betroffenen Kolonien verschiedenen andersethnischen Nachbarrayons zugeordnet. Teilweise wurde die ansässige deutsche Bevölkerung (Wolhynien) in andere Teile des Landes umgesiedelt, d. h. zerstreut.

Diese Aktionen gehörten zu den bereits vor dem 2. Weltkrieg vorgenommenen Maßnahmen zur allmählichen Liquidierung der Russlanddeutschen als nationale Minderheit.

Die kollektive Strafmaßnahme der Sowjetbehörden gegen die Wolgadeutschen (vgl. Erlass vom 28. August 1941) vollendete diesen Prozess. Mit der zwangsweisen Vertreibung aus den angestammten Siedlungsgebieten und der Ansiedlung in entlegenen Regionen des Landes – über weite Gebiete zerstreut – verloren die Deutschen in der Sowjetunion alle elementaren Grundlagen (Gemeinschaftsleben, Pflege der Sprache, Ausübung des Glaubens, Praktizierung der Sitten und Gebräuche etc.), um als nationale Minderheit weiter zu existieren.
 
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