Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil II 1820 - 1917

2 Veränderte Rahmenbedingungen für die Russlanddeutschen

2.1 Russland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts: Aufhebung der Leibeigenschaft und weitere Reformen

2.1.3 Stolypinsche Agrareformen

stolypin
Unter dem Druck der Revolution von 1905/07 link musste der Zarismus in der Agrarfrage einen neuen Kurs einschlagen. 1906 – weiterführend 1910 – wurde ein Gesetz erlassen, das nach seinem Hauptinitiator, dem damaligen Ministerpräsidenten Pjotr A. Stolpin, als Stolypinsche Agrarreformen link in die Geschichte einging.

Jedes Gemeindemitglied erhielt das Recht, seinen Landanteil zu verkaufen und wegzuziehen.

Ziel des Gesetzes war es, bei Bewahrung des Großgrundbesitzes die kapitalistische Entwicklung der Landwirtschaft zu beschleunigen und die sozialen Spannungen auf dem Lande durch die Bereitstellung von Darlehen und neuen Siedlungsgebieten in Sibirien abzubauen.

Die deutschen Siedler nahmen diese Reform unterschiedlich auf. Vor allem aus den südrussischen und ukrainischen Siedlungsgebieten wurden "Landsucher" nach Sibirien geschickt, um dort Boden für landlose Gemeindemitglieder zu sichern. Zwischen 1906 und 1910 entstanden hier zahlreiche deutsche Tochterkolonien.

Die Wolgadeutschen zeigten sich gegenüber der Reform eher abwartend. Nur etwa die Hälfte von ihnen nutzte die Gelegenheit, um Landeigentümer zu werden. Der Anteil der aus der Dorfgemeinschaft Austretenden war von Kolonie zu Kolonie unterschiedlich, er schwankte zwischen 25 und 95 Prozent.

Das Ziel der Reformen, eine leistungsstarke und politisch stabile Mittelbauernschicht zu etablieren und durch die Privatisierung des Bodens einen sozialen Differenzierungsprozess einzuleiten, konnte allerdings nur in beschränktem Umfang realisiert werden. Bis 1913 war erst rund ein Zehntel des gesamten Gemeindelandes privatisiert. Die Fülle der administrativen Aufgaben – Vermessung, Eintrag im Kataster, Flurbereinigungen, Schätzungen, Kompensationsberechnungen u.a. – verzögerte die Umsetzung der Reformen erheblich.
 
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