Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil II 1820 - 1917

2 Veränderte Rahmenbedingungen für die Russlanddeutschen

2.1 Russland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts: Aufhebung der Leibeigenschaft und weitere Reformen

2.1.3 Stolypinsche Agrareformen

2.1.3.1 Revolution 1905/1907

2.1.3.1.1 Die Oktobristen

2.1.3.1.1.1 Professor Dr. Karl Lindemann (1847- 1928)

lindemann
Er wurde 1847 in Nishni Nowgorod (zur Sowjetzeit Gorki, heute wieder Nishni Nowgorod) als Sohn eines Arztes geboren.

Er hatte eine sehr glückliche Kindheit im weithin bekannten Arzt-Elternhaus. Schon mit 15½ Jahren studierte er an der Kasaner Universität Anatomie und Physiologie; mit 16 Jahren ging er an die Universität in Moskau und mit 21 Jahren vollendete er sein Naturwissenschaftsstudium an der Universität in Dorpat.

Fast sein ganzes Leben - 62 Jahre - widmete er sehr erfolgreich der Wissenschaft und Forschung, was ihn in der naturwissenschaftlichen Welt bekannt machte. Die meiste Zeit lehrte und studierte er in Moskau (von 1885 bis 1918), nur die letzten Lebensjahre (1921 bis 1925) verbrachte er auf der Halbinsel Krim.

Er war Professor an der Landwirtschaftlichen Akademie und Sekretär der russischen Kaiserlichen Naturforscher-Gesellschaft.Er studierte und untersuchte die Landwirtschaft und die schädlichen Insekten in fast ganz Russland, wohin ihn seine wissenschaftlichen Reisen, hintereinander, geführt hatten. Er galt als einer der besten Kenner der russischen Landwirtschaft und war hochgeachtet; eine unbestrittene Autorität - sowohl unter der Zarenherrschaft als auch in der Sowjetzeit.

Auch politisch war er aktiv; er setzte sich für die Durchsetzung der Rechte der Deutschen in Russland ein.

Lindemann war Leiter der 1905 in Petersburg gegründeten Deutschen Gruppe des Verbandes des 17. Oktober (Oktobristen). Er engagierte sich stark gegen die beabsichtigte Liquidierung des deutschen Landbesitzes in Russland (schon lange vor Kriegsbeginn erweckten die blühenden deutschen Kolonisten-Siedlungen den Neid panslawistischer Kreise), erkannte aber, dass sich die deutsch-feindliche Haltung bis in die höchsten Regierungskreise durchgesetzt hatte. Während der sich zuspitzenden antideutschen Kampagnen in Russland mit Beginn des Ersten Weltkrieges versuchte Lindemann die Loyalität und den Nutzen der deutschen Kolonisten für den russischen Staat herauszustellen, um Gefahren für seine Landsleute abzuwenden. Er konnte aber trotz seines großen Einflusses nicht die Rücknahme der 1915 vom Zaren als (ohne Zustimmung der Staatsduma) verabschiedeten Liquidationsgesetze bewirken. Der als Deutschenhasser bekannte Innenminister Chwostow wollte allen deutschen Landbesitz in Russland liquidieren lassen. Kolonistenvertreter aus allen Gebieten holten sich bei Lindemann Rat.

Dank seiner Verdienste und großen Leistungen als Wissenschaftler konnte er es wagen, gegen diese Gesetze zu protestieren und entsprechende Schriften zu verfassen.

Gleich nach dem Sturz des Zaren mit der Februarrevolution 1917, als es die proklamierten Freiheiten auch für die Deutschen zu nutzen galt, organisierte Lindemann vom 20. bis 22. April 1917 in Moskau den Allrussischen Kongress der russischen Bürger deutscher Nationalität, an dem Vertreter aller Konfessionen aus 15 Gouvernements teilnahmen. Unter seiner Leitung wurde das "Hauptkomitee der russischen Staatsbürger deutscher Nationalität" mit Sitz in Petersburg (später Moskau) geschaffen, das für die Aufhebung der kolonistenfeindlichen Verfügungen aus den Kriegsjahren und den wirtschaftlichen Wiederaufbau der deutschen Siedlungsgebiete eintrat.

Als sich die Lebensbedingungen in Moskau 1918 immer schwieriger gestalteten, ging er nach Südrussland auf die Krim.

Er verstarb 1928 in der Mennoniten-Kolonie Orlow im Kreis Melitopol.
 
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