Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil 1 1763 - 1820

4 Ankunft im Siedlungsgebiet

4.3.1 Reisebericht von J. P. B. Weber

In seinem 1787 erschienen Buch "Die Russen oder Versuch einer Reisebeschreibung nach Russland und durch das russische Reich in Europa" zeigt Weber, mit welchen Versprechungen Menschen zur Auswanderung bewegt wurden und welche Schwierigkeiten die Ankommenden erwarteten. Dies und seine Beschreibung von der Ankunft eines Kolonistenzuges vermittelt eine Ahnung davon, was für Menschen sich damals auf den Weg gemacht hatten. Man hat nicht den Eindruck, dass es sich hier um "Abenteurer" oder "Leichtsinnige" (Ch. G. Züge) handelte, sondern um Menschen, die sich mit ihrer Familie und den wenigen Habseligkeiten in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausgezogen und, am Ziel ihrer Reise angekommen, der örtlichen Obrigkeit und den Unbilden des fremden Landes ausgeliefert waren.

  "Um diese Gegend zu bevölkern, und zur Cultur zu bringen, glaubte die Regierung genug zu thun, wenn sie Menschen dahin lockte. Sie sandte daher nach allen Gegenden Colonisten-Werber, welche zu Folge der diesfälligen Ukase und ihrer Instruktionen den Colonisten die vortheilhaftesten Versprechungen machten. Jeder Colonist sollte ein Haus, eine Kuh, einen verhältnismäßigen Grund zur Beurbarung, und das nöthige Ackergerät erhalten. Den Handwerksleuten ward der (sic!) abgängige Werkzeug, das Materiale für den ersten Verarbeitungs-Bedarf, und überdieß noch eine jährliche Besoldung versprochen, welche nach dem Grade des Bedürfnißes ihres Gewerbes, für jene des ersten Bedürfnißes zum Beispiel für Zimmerleute, Maurer, Tischler auf 600 Rubel bestimmt, und nach dem größeren oder geringeren Grade des Bedürfnißes bis auf 100 Rubel abgestuft war. Zur Bestreitung dieser, und der sonstigen Gouvernements-Auslagen an Beamten-Besoldung, Bauführungen etc. etc. erhielt der Gouverneur jährlich 18 Millionen Rubel.

Allein die Sache gewann eine ganz andere Gestalt ... Es wurden ... alle aus Frankreich, Italien, hauptsächlich aber aus allen Gegenden und Provinzen Deutschlands zuströmenden Colonisten, bis auf einige wenige, welche in Cherson bei ihren Landsleuten Unterkunft und Unterstützung fanden, nach dem Caucasus instradirt, da ... wurden die meisten vom Hunger, Witterung und Elend consumirt und giengen zu Grunde. Während meines Aufenthaltes zu Cherson sah ich einen Colonisten Transport von ein Paar Hundert Mann aus Deutschland ankommen, sie waren alle zu Fuße und für Cherson bestimmt. Einige hatten ihre Weiber und Kinder bey sich, und nur wenige trugen etwas Habseligkeiten in einem Bündelchen unter dem Arme. Sie wurden vor dem Policey-Hause aufgestellt, nach der Liste, die der Conducteur mit sich brachte, mit ihrem Namen verlesen, wobey sie 2 bis 4 Rubel auf die Hand erhielten, und hierauf entlassen, da sie dann, der eine dorthin, der andere dahin verliefen. Daß bey solchen Anstalten das Coloniewesen nicht zum besten bestellt seyn könne, erhellet von Selbst."
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