Geschichte der Russlanddeutschen

8 Kulturarchiv

8.2.1 Quellen

8.2.1.11 Kolonistenwerbung

8.2.1.11.1 Kolonistenwerbung 1804

Im März 1809 meldete das Oberamt Mannheim an das badische Innenministerium, dass die Zahl der nach Russland ausgewanderten Familien sich in den vergangenen acht Monaten auf 67 erhöht habe. Es führt diese Entwicklung auf die Anwesenheit von Werbern (Kommissaren) zurück, die seit 1804 die ungünstige Lage im Land nutzen, um großherzogliche Untertanen zum Wegzug zu bewegen. Einer der im Auftrag russischer Agenten agierenden Werber war anscheinend der Kaufmann Franz Thyerie, durch den Flugblätter in Umlauf gebracht wurden, in denen die zu besiedelnden Gebiete in den höchsten Tönen gelobt wurden.
Das Oberamt wies darauf hin, dass auch Briefe früher ausgewanderter Landsleute als Mittel zur Werbung neuer Kolonisten eingesetzt würden.

Landes-Beschreibung

Die sich zu Lauingen einfindende Ansiedler kommen nach Podolien. Dieses Land liegt zwischen dem 46sten und 48sten Grad, mittäglicher Breite, ist temperiert, im untheren Teile warm, hat im oberen Waldungen und Gebirge, um untheren ist es fruchtbar. Trägt Wein,Saffran, Melohnen, Tabak, Welschkorn, und andere Früchte; der Obstbaum wird gut gedeihen, wenn er gepflanzt wird. Der unthere Teil ist etwas sandigt; doch findet man gute Quellen. An Pferden und Hornvieh ist kein Mangel, auch gibt es wohllenreiche Schaffe; sowie an verschiedenem Wildpret Überfluß ist.
Siffreiche, zum Handel anwendbare Flüsse sind der Dniester und der Bug, auch fehlte es nicht an Gelegenheit, seine Erzeugnisse an das Geld zu bringen; weil Ausfuhr von Wein, Saffran, Tabak und Frucht durch den Handel auf dem Schwarzen Meer betrieben wird.

Signatum Lauingen, den 20ten April 1804.
Russisch-Kaiserl. Transport
Carl von Otto

Brief

So berichtete der aus Waldprechtsweiler stammende und nun in Kleinliebenthal siedelnde Anton Wolf seinen Verwandten über seine Reise nach Russland und seine Situation in der Kolonie. Der Inhalt des Briefes aus dem Jahr 1808 ist uns durch die folgende sinngemäße Wiedergabe durch das Oberamt Rastatt überliefert.
"Bis an die Donau mußten sie die Reise selbst bestreiten. Auf der Donau bis nach Wien sind sie frei gefahren. In Wien haben sie sich dem russischen Gesandten vorgestellt. Da wurden sie angenommen und mit Landfuhren bis nach der russischen Grenzstadt Rattenweil (Radziwil) frei geführt worden. Hier habe jeder Emigrant über 15 Jahre auf den Tag 15 Kreuzer erhalten und unter 15 Jahren je 12 Kreuzer pro Tag Reisegeld erhalten und weiterhin freie Fuhre bis an Ort und Stelle. In Kleinliebenthal hatten sie zur Ansiedelung und Anbauung 120 Rubel an Geld, die Rubel zu ungefähr 100 Kreuzer gerechnet, 1 Paar Ochsen, allerlei Gattung Getreide zur Aussaat, dann solange bis sie ihr Brot selber verdienen auf den Kopf täglich 10 Kreuzer Nahrungsgeld erhalten. Anton Wolf sei erst 4 Jahre in Kleinliebenthal und habe bereits 1 Haus, Hof, Acker, Wiesen und Früchte, und Vieh, nämlich 5 Pferde, 4 Ochsen, 5 Kühe, 8 Kälber, 60 Desenthien Feld oder Land (2 Desenthien machen 3 Morgen). In der letzten Ernte habe er an Früchten gemacht 5000 Garben an Weizen, 1800 Garben an Korn, 2000 an Hafer, 1000 an Gerste. An Welschkorn 7 Wagen voll, Grundbiere 15 Wagen voll. Der Boden sei sehr gut, und nicht notwendig, ihn mit Hauen zu bearbeiten."

Aus: Josef Häßler, Zur Auswanderung aus Baden nach Rußland. Nach Akten des Badischen General-Landes-Archivs zusammengestellt, in: Der Wanderweg der Rußlanddeutschen. Jahrbuch der Hauptstelle für die Sippenkunde des Deutschtums im Ausland, hrsg. vom Deutschen Auslands-Institut, 4. Jahrgang, Stuttgart und Berlin 1939, S. 16f.

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