Geschichte der Russlanddeutschen

8 Kulturarchiv

8.2.1 Quellen

8.2.1.14 Briefe und Reisebeschreibungen (1817)

Brief des Joh. Chr. Bidlingmaier, Anführer aus Oetlingen über die Fahrt von Ulm bis ans Schwarze Meer

Galatz, den 18. Juli 1817

  "Hier müssen wir Euch, liebe Freunde und getreue Brüder und Schwestern in Christo Jesu unserem Herrn, unsere ganze Reise von Haus bis nach Galatz durch beschreiben, weil wir glauben, daß Ihr mit Sehnsucht eine Nachricht von uns zu erhalten wünschet. Wir sind also den 2. Juni zwischen 11 und 12 Uhr von Ulm abgefahren (s. Ulmer Schachteln S. 34). Wir sind den ersten Abend glücklich nach Blendenheim gekommen, wo alle Furchtsamen beschämt wurden und am 3. Juni desto getroster in das Schiff traten und selbigen Tag auf erwünschte glückliche Reise nach Marching kamen, am vierten nach Regensburg; in Regensb. aber mußten wir das erstemal 4 Stund windferien. Da wir fortkommen konnten, so fuhren wir nach Pfaden und den fünften nach Passau, am 6. nach Linz, den 7. aber einen Tag in Linz verweilend. Den 8. aber haben wir unsere Reise nach Marbach fortgesetzt. Den 9. sind wir durch Gottes gnädige Führung glücklich in Wien angekommen, wo wir aber die ersten Schiffe noch antrafen. Da wurden wir in eine neue Probe versetzt, weil wir zu Lande sollten nach Pordia und Razivili: wo wir die Hälfte unserer Weiber und Kinder schon aufgeopfert hatten. Wenn wir die Hälfte unserer Habseligkeiten verkauft hätten, hätten wir doch müssen 9 000 Gulden Fuhrlohn bezahlen nebst aller Schwierigkeit, die wir vor uns hatten. So kam in der letzten Stunde eine Nachricht von unserem Deputierten in einem Brief, daß wir auf dem Schiff nach Galaz fahren sollten. Da zerflossen unsere Herzen in Tränen der Freude und wir sahen dabei, daß Gott sein Werk in allem hat, indem wir die 4 Tage die Zuschauer der Großstadt herzubringen sahen mit großer Begierde und vielem Geschenke, das sie unter unsere Kinder austeilten, sagend, unser Zug sei den Kindern Israels gleich.

  So haben wir den Weg aufs neue den 14. Nachmittag wieder fortgesetzt und sind denselbigen Tags in Theben angekommen. Am 16. aber reisten wir wieder von Theben ab. Zur Bewunderung aber kann man nicht genug schreiben, wie wir den Wald antrafen mit Weinstöcken und Trauben daran, daß wir in unserem Leben in den fruchtbarsten Jahrgängen kein Stock so voll sehen konnten und über alles Gehölze hinauswachsen. Die Nacht aber mußten wir schlaflos zubringen wegen der Gelsen, z.B. sinds die nämlichen Rheinschnaken – und so viel, daß alles wimmelte. Da dachten wir treulich an die ägyptischen Plagen vom Ungeziefer. Am 17. früh reisten wir ab und kamen an Preßburg, der ersten ungarischen Stadt, vorbei und kamen nach Seehn, den 18. nach Groß-Marusch, wo wir lauter Deutsche antrafen; den 19. nach Pest und Ofen, allda wir unsere Schiffahrt wieder verakkordieren mußten. Nach diesem bewerkstelligten wir unsere Schiffahrt und fuhren am 20. am Abend noch nach Erdschin. Am 21. aber mußten wir wieder 8 Stunden windfeiern und kamen nach Földwar; am 22. fuhren wir nach Dull und weit darüber hinaus, mußten wieder auf dem Wasser übernachten wo uns das Ungeziefer die größte Pein verursachte.

  Am 26. kamen wir nach Peterwardein, einer ungarischen Festung Scharengrad. Nach Verrichtung bei dem Hauptkommissariat mußten wir noch eine halbe Stunde fahren an die Höfe Peterwardeins. Am 27. kamen wir nach Semlin, mußten uns aber einen Tag verweilen, am 29. nach Bauschua (= Panesova) allda mußten wir wieder zwischen Himmel und Erde übernachten. Am 30. kamen wir nach Semendria, einer türkischen Festung, allda auf dem Wasser übernachtet; am 1. in Alt-Balanka, allda 6 Stunden windgefeiert, dann über den Strudel, wo man das Wasser eine Stunde weit zuvor strudeln hört, wo (während) der Strudel, ehe man auf Wien kommt, gar nicht zu achten ist. Wir sind aber, Gott sei Dank glücklich darüber gekommen, daß einige von unseren Kindern sagten, so sollte es immer gehen; jetzt werden sie auch gewiegt. Wir kamen denselben Tag nach Moldauen. Am 3. kamen wir nach Alt-Urschua-Orsowa, einer Grenzstadt des österreichischen Kaisertums, allda wir uns 2 Tag verweilen mußten. Am 5. reisten wir ab und kamen gleich nach einer Stunde durch das Eiserne Tor, da das Wüten und Toben des Wassers gleichet dem Strudel. Auch da sind wir wieder glücklich durchgekommen. Um 8 Uhr kamen wir an die 1. Türkische Grenzfestung, genannt Kladua-Kladowa, wo wir 4 Stunden verweilen mußten wegen Einlassung in das Türkische und kamen noch unweit der Festung bis an den Ort Kladua.

   Am 6. reisten wir ab bei einer sehr großen, fast unerträglichen Hitze. Am 7. mußten wir auf dem nämlichen Platz windfeiern den ganzen Tag, wo wir auf der Seite in ein Ort begeben mußten, Proviant zu holen. Da kauften wir 2 Schweine um 5 Gulden 12 Kr., 1 Schwein 104 Pfund schwer und das andere mit 96 Pfund. Das Pfund ist eben auf 2 Kr. kommen. Es wird alle Tage wohlfeiler in allem. Wir kauften in dieser Gegend 1 Pfund Brot um 2 Kr., 3 Schoppen Wein nach württembergischem Maß um 7 Kr., 6 Kr., 5 Kr., prächtigen guten Wein mit Feuer, gleich dem Elfer-Jahrgang. Überhaupt sind wir in Leiblichen recht wohl geraten, von Ulm aus bis jetzt, so daß wir öfters denken, wie mangelhaft es bei euch hergehen werde. Wenn wir euch nur mit Unterhalt auch dienen könnten, bei so wohlfeilen Preisen; allein wir könnens nicht machen.

   Am 8. aber morgens um 8 Uhr kamen wir in die Festung Widdin. Nachmittags um 3 Uhr, da unsere Geschäfte vorbei waren, fuhren wir unweit der Stadt Ochriwa (= Orjechowo). Den 9. setzten wir unseren Weg fort und kamen unweit der Festung Gelobel (= Wikopol); den 10. kamen wir nach Rustschuk, einer Festung, den 11. kamen nach Glifhin; den 12. aber abends mußten wir wieder windfeiern und auf dem Wasser übernachten; am 13. nach Hirsowa. All da ist dem Andreas Spindler ein Kind gestorben an den Gichten. Am 14. kamen wir nach Orschua, einer türkischen Festung, am 15. kamen wir nach Braila, die letzte türkische Festung. Am 16. kamen wir nach Galatz, allda wir unsere Reise bis daher vollendet hatten. Weiter können wir keine Bestimmungen angeben. Wir haben noch keine Nachricht von den Deputierten, als daß wir nach Ismail reisen und nach Odessa.

  Alles ist hier wohlfeiler; das schönste Pfund-Brot kauften wir um 1 Kreuzer und etwa 1 Pfennig, die Maß Wein, wie Branntwein, für 6 bis 8 Kronen. Wir dachten und sagten oft: Wenn wir euch nur mitteilen könnten in eurem Mangel. Die Landteile, durch die wir reisen, sind alle so ergiebig von Wien bis daher, so daß wir uns verwundern mußten. Viele Gegenden haben wir angetroffen, wo die Weinstöcke in Gebüschen stehen herumflattern, und in den Wäldern an der Hölzern bis an die Gipfel hinauswachsen, wo sie also ihren Wein erhalten ohne gepflanzt. Die Arbeit ist schlecht bei den Leuten. Wir haben oft gesagt: Hier sollten unsere Württemberger sein!

  Man kennt alle Orte, wo deutsche sind, von weitem, doch machen sie den faulen Leuten in Vielem nach. Sie leben meistens in schlechten Hütten. Durch das Ungarische und im Türkischen haben sie die Hütten im Boden. Es liegt alles beieinander herum: Gänse, Schweine, Hühner, Schafe, Rindvieh. Die Städte sehen nicht einmal einem ordentlichen Dorfe gleich wie bei uns, und unbewohnte Gegenden hat es genug. Besonders von Belgrad an haben wir öfters gesagt: So ettliche Württemberger hätten sich so wohl zu nähren, und soviele haben nicht einen Schuh breit bei uns! Ich muß schließen; wir haben so wenig Zeit. "
Dies bezeugt!

Johann Christoph Bidlingmaier von Oetlingen

Vom Schicksale der 1817 aus Rosenfeld (O. A. Sulz) und dessen Gegend nach Rußland Ausgewanderten1 (gekürzt).

Aus einem Briefe aus Carlsthal bei Odessa am Schwarzen Meere, den 20. April 1820 von Johann Georg Höhn, Schlosser, einem Tochtermann des Zieglers Andre Dieterle zu Rosenfeld.

  "Von Ulm bis Wien war die Fahrt glücklich, nur bekamen die Kinder Höhns die Pocken, genasen aber wieder während des Aufenthalts zu Wien von 8 Tagen. Von da fuhren sie in einem andern Schiffe bis Pest, wo die Menschen zweier Schiffe zusammen 430 in Eines gepackt wurden. Die Reise ging nun bis zur schönen Festung Peterwardein und Neusatz. Höhns Bruder und etliche Familien, des Reisens schon satt, ließen sich daselbst von einem Edelmann für eine Ansiedlung in Slavonien anwerben. Bei der Weiterreise der Andern erkrankte zuerst Höhns Schwager Caspar an einer hitzigen Kopfkrankheit und wurde 4 Wochen nachher ein Opfer derselben u. in Orsova an der Grenze von Ungarn begraben...

   In Widdin (Vidin) kaufte Höhn noch Lebensmittel, allein weil wegen großer Hitze die Krankheiten immer mehr einrissen, erkrankten auch hier schon er und sein Weib. In Galatz starb seine Schwieger u. seinem Schwager Joh. Hörter ein Sohn Christian, nebst vielen andern Leuten. Nach einem Aufenthalt von 4 Tagen fuhr das Schiff weiter nach Ismail. Bei dieser 1-n russischen Stadt mußten die Auswanderer 7 Wochen unter freiem Himmel Quarantäne halten, bekamen jodoch täglich auf des Kaisers Befehl Brod, Mehl, Fleisch, Butter, Reis, Gerste, Kaffee und Zuker, auch Wein, Branntwein, Weinessig, Baumoel und Seife. An Arzt u. Arzneien fehlte es auch nicht, aber die Nerven- u. andere Fieber, gelbe und rothe Ruhr, große Geschwüre an Kopf und Hals wüteten heftig. Dem Höhn starben 2 Kinder, Anne und Marie-Rosine, seinem Schwager Hörter 4, Andreas, Johannes, Anne Elisabethe und der erst in Galatz geborene Daniel. Auch der Strumpfweber Jakob Nagel und sein Weib. In Ismail allein sollen 1.3.28 Emigranten schon begraben liegen. Höhns 2 große Töchter blieben zum Glück immer gesund.

   Von Ismail setzten sie die Reise zu Lande auf russischen Bauernwagen fort, und kamen in 3 Tagen 60 St. weit nach Ackiermann (Akkerman). Als sie während dieser Reise auf einer weiten Steppe Nachtlager hielten, lief Höhn in der Hize der Krankheit, während sein Weib schlief, fort, und die ganze Nacht in der Irre umher, kam jedoch durch Gottes Fürsorge am Morgen wieder in die Nähe des Lagers, so daß ihn die ängstlich suchenden fanden und retteten. – Als sie den folg. Tag nach Akiermann kamen, brachte man ihn in ein Bett und er schlief 1 ganzen Tag fort, womit seine Wiedergenesung anfing.

   Nach 5 Tage Aufenthalt ging die Fahrt von hier nach der Festung Wiederbohlen (Owidiopol), auf einem Schiff über den Dnjestr und einen Arm des Schwarzen Meeres. Um Mitternacht überfiel sie ein Sturm mit Regen und Schnee und erst den andern Morgen gelangten sie durch eine bangmachende Brandung ans Land. Bei einer abermaligen Quarantäne von 14 Tagen erkrankten hier wieder viele: Höhns Schwiegervater Dieterle und seine Tochter Christine starben.

   ...Von hier holten sie teutsche Bauern zu sich ins Quartier ab. Als einer derselben, Bürgermeister seiner Colonie, Höhns weinendes Weib um die Ursache ihrer Traurigkeit fragte, und sie sagte: Sie werden keinem Quartiersmann willkommen sein, weil sie u. ihr Mann krank seyen, vier eigene Kinder und noch des Strumpfwebers zwei Waisen mitbringen", so trat er vor und sprach: "Ich dürfte als Bürgermeister kein Quartier nehmen, Frau, aber ich will euch mitnehmen und euch eine eigene Stube geben".

Karl Stumpp, Ostwanderung der Württemberger 1816 bis 1822. Sammlung G. Leibbrandt, S. 205 ff.

Er verschaffte ihnen wirklich drei Wagen, nahm sie mit sich nach Peterstal, wo sie gute Leute fanden und sich von ihrer Krankheit erholten. Die übrigen Fieberkranken kamen in teutsche Colonien ins Quartier und die schwer Kranken in den Spital nach Großliebental, in dem unerachtet guter Verpflegung Höhns Schwager Joh. Martin Dieterle und dessen Schwester Catharina starben. Die Auswanderer, soviel ihrer noch lebten, bekamen Winterquartiere in den teutschen Dörfern um Odessa her am Schwarzen Meere, welche bis Jacobi dauerten.

   Höhn trieb sein Handwerk mit gutem Verdienste bei einem Schmied. Diejenige, welche nach Kaukasien zogen, bekamen 500 Rubel, um sich Pferde und Wagen anzukaufen, und täglich die Person 40 Kopeken = 12 Kr. Es zogen 500 Familien in 10 Abteilungen dahin. Unter ihnen waren Andreas Dieterle u. Joh. Hörter, Elisabeth Dieterlin, Höhns Schwäger und Schwägerin. Carlsthal, wo Höhn jetzt wohnt, ist ein ädermännsches Dorf, zwei St. von Peterstal, vier von Odessa, 2 vom Djnestr. Viele Deutsche und mehr als Russen bewohnten diese Gegend. Durch den Pastor in Freudental, in dessen Haus Höhn die Schlosserarbeit fertigte, wurde er der Herrschaft in Carlsthal empfohlen, bekam eine hersch. Wohnung und ein Schmide mit Kohlen und Handwerkszeug, u. hat viele Arbeit, die gut bezahlt wird.

   Die Colonisten können Feld haben, soviel sie wollen, leisten weder Steuern noch fronen, nur Zehend. Die Herrschaft dieses Ortes besitzt 6 000 Desj. Feld. Höhn ärndete im ersten Jahre seines dortigen Aufenthalts 9 Schfl. Waizen von 1 Brachacker, den ihn ein Bauer schenkte, der ihn nicht abzuschneiden Zeit hatte (1818), hat jetzt 10 St. Rindvieh und 7 Pferde und baut jetzt seine Felder selbst. Höhns Schwager Joh. Hörter, dessen Vater Daniel in Erzingen lebt war nebst seinem Weib lange krank und verlor alle seine Kinder bis auf die älteste Tochter, mit der er nach Kaukasien reiste.
Des † Strumpfwebers zwei Knaben nahmen zwei Bauern in Peterstal an Kindesstatt an. Johann Holweger von Leidringen mit Weib und Kind blieben auf der ganzen Reise gesund und er bekam von einem, der nach Kaukasien zog, ein Haus und Gut geschenkt, samt Vieh, 30 St. von Odessa.

   Die übrigen Leidringer starben alle auf der Reise, bis auf zwei Mädchen des Friedrich Bäckers. Auch der Bäkle (Böckle) von Isingen starb u. seine Familie, bis auf s. zwei Knaben; so auch die Familie des Schmids von Brittheim bis auf die zwei großen Söhne. Ursula und Kath. Schneckenburger von Schura, welche nach Polen emigrierten, zogen von da in die Molosch (Molotschna, Krim) in Catharinoslaw, wo sie jetzt wohnen.

Ex. 2/3. d.Ven. 1821

Zweite Reisebeschreibung nach Rußland von Friedrich Schwarz und seiner Familie (gekürzt) (s. Karte S. 42)

1817 Donnerstag, Juni 26 neuen Stil war es, als ich mit meiner Frau und 9 Kindern von Kupferzell abreiste und den allerbittersten Trennungsschmerz schmecken mußte...

27. kamen wir bis Unterkochen
28. bis Allbek (Alpeck, n. ö. Ulm)
29. Sonntag früh um 8 Uhr kamen wir wohlbehalten in Ulm an und wurden im Gasthof "Zur goldenen Gans" einquartiert

Juli
muß ich die Schiffsfracht bis Wien bezahlen, nämlich von der Person unter 8 Jahren 4.30, von 8-16 Jahre 5.30, von denen über 16 Jahren 6.30. Da traf mich 58.30. Abends wurde eingeladen.
3. wurde nachmittag um 2 Uhr, nachdem zuvor auf dem Schiff ein schönes Lied mit Musik abgesungen, gebethet und von Bruder Bayer eine kurze, aber passende Rede an die Reisegesellschaft sowie auch an die Zuschauer gehalten, unter heißen Tränen und inbrünstigem Gebet um Glück und Segen wir dann in Gottes Namen abgefahren und kamen abends wohl behalten in Lauingen an.
4. kamen wir bis 2 St. vor Ingolstadt, wo wir wegen Donnerwetter nicht weiter kommen konnten und mußten auf einer Insel übernachten, allwo es die ganze Nacht und den darauf folgenden Tag stark regnete.
5. kamen wir bis Regensburg, allwo wir auch wegen häufigem Regen alle auf dem Schiff bleiben mußten und wegen Mangel an Raum eine erbärmliche Nacht hatten.
6. kamen wir Mittags nach Straubing und abends nach Dekendorf (Deggendorf).
7. mußten wir morgens 6-8 Nebel feiern, kamen mittags nach Bassau (Passau), wo wir uns 2 Stunden aufhielten und kamen abends in Engelhardtszell an, wo die Visitation uns auf Treu und Glauben geschenkt wurde. Bruder Jakob und ich blieben mit unseren Familien im Lamm über Nacht und hatten ein gutes und wohlfeiles Quartier. Zu bemerken habe ich, daß ich von hier aus bis Ismail nicht mehr aus meinen Hosen, Strümpfen und Stiefeln kam, weil ich hier zum letzten Mal bis nach Rußland in einem regelmäßigen Bette schlief.
8. konnten wir wegen Regenwetter erst um 11 Uhr abfahren, und kamen um 2 Uhr in Oschau (Aschach) an, wo die 2. Visitation war...
9. wurde morgens 6 Uhr abgefahren und kamen um 11 Uhr in Linz an, allwo die Pässe zum 3. Mal gezeigt werden mußten... Abends kamen wir nach Bessenbay (Persenbeug), allwo ein Kaiserlich Schloß ist.
10. wurde morgens ½ 4 Uhr abgefahren und kamen bei bestem Wetter Nachmittags 4 Uhr in Nußdorf an, wo wir warten mußten, bis uns der Landungsplatz in Wien angewiesen wurde. . . 11. ging ich mit meinen Kindern in die Stadt, wo sie vor Staunen und Verwunderung nicht wußten, wo sie hinsehen sollten.
12. war den ganzen Tag Gewitter auf Gewitter und mußten also zu Haus bleiben, wo ich dann Gelegenheit hatte, an meine lieben Brüder in Kupferzell zu schreiben...
14. mußte wieder Schiffsfracht gezahlt werden, bis Galaz ungefähr 700 Stund weit. Wo die ganze Reisegesellschaft in 5 Schiffen wieder in 3 Klassen eingeteilt wurde, wovon die 1. Klasse 16, die 2. 17 und die 3. 18 fl. zahlen mußte.
15. mußten wir auf ein größeres Schiff ziehen, bekamen aber weniger Platz, in dem 121 mehr darauf kamen, nämlich 309 Seelen.
16. morgens 6 Uhr wurde wieder in Gottes Namen abgefahren und kamen um 12 Uhr in Diem (Theben, Ung. Dévény, Slowak. Devin) an der ungarischen Grenze an, wo das Schiff wieder visitiert werden sollte, aber auch geschenkt wurde. So haben wir denn nun unser liebes deutsches Vaterland verlassen, aber nicht vergessen...
Um 3 Uhr Nachmittags kamen wir in Preßburg an. Da wir uns auf 3 Tag mit Lebensmitteln versehen sollten, so wurde da übernachtet.
17. sollten wir früh abfahren, es erhob sich aber ein Wind, welcher stark den ganzen Tag anhielt und mußten nochmals da übernachten.
18. konnten wir wieder wegen Wind erst u 9 Uhr abfahren, aber nach einer Stunde erhob sich ein so gewaltiger Sturm, daß die Schiffer nur mit der großen Mühe und Anstrengung die Schiffe aus dem Strom bringen konnten und langten um 11 Uhr Stund vor Karlsburg (Karlburg) an.
19. fuhren wir morgens 4 Uhr ab und kamen um 11 Uhr an Gomoren (Komorn) vorbei, um 1 Uhr an Waitzen, um 3 Uhr kamen wir in Pest an, allwo die Pässe gezeigt werden mussten...
21. mußten wir uns auf 8 Tag mit Lebensmitteln versehen, wo wir das schönste Brot bekamen.
22. fuhren wir nachmittag 2 Uhr ab und landeten abends ½ 10 an einem unbewohnten Ort.
23. fuhren wir schon ½ 2 Uhr ab und fuhren den ganzen Tag bei schönstem Wetter bis nachts 10 Uhr und landeten bei Turnau (Tolna), wo schon 20 Jahr viele Württemberger wohnen, und befinden sich recht gut da.
24. fuhren wir von morgens 4 Uhr bis abends 6 Uhr und landeten bei Mogatschau (Mohacs).
25. hielten wir uns da auf bis Nachmittag 2 Uhr, weil eine Frau, die gestorben ist, vor beerdigt werden musste, und landeten abends 9 Uhr bei Monassa (Monastarsceg).
26. kamen wir abends 6 Uhr bei Pukowo (Vukowar) an.
27. fuhren wir morgends 3 Uhr ab und kamen mittags 3 Uhr in Neusatz der Festung Peterwardein gegenüber- an; hier mussten wir uns wieder auf etliche Tage mit Lebensmitteln vorsehen, welche etwas teurer waren als in Pest.
28. nachmittags 2 Uhr fuhren wir ab, mußten aber nach einer halben Stunde Wind feiern bis 6 Uhr, dann fuhren wir bis 10 Uhr und landeten an einem unbewohnten Ort, wo es dennoch viele Obstbäume gab uns so voll Zwetschen hing, daß die Bäume brechen möchten.
29. fuhren wir morgens 4 Uhr ab und kamen um 11 Uhr in Semlin an, wo wir wieder Nahrung kauften, die Pässe mußten gezeigt werden.
30. früh um 6 Uhr fuhren wir an der berühmten Festung [Belgrad] vorbei und kamen um 9 Uhr bei Panschua [Pancsova] an; die Vorsteher fuhren allein in die Stadt, um die Pässe visieren zu lassen. Wir glaubten bis Mittag wieder abfahren zu können, allein der Kommandant war so strenge, und wollte aufs genauste untersuchen, ob unsere Seelenzahl auch mit den Pässen übereinstimmig sei.
31. bekamen wir starken Sturm und mußten also wieder bleiben. An diesem Tage hatte folgendes Unglück statt: Ein Mann namens Reiber badete sein Kind neben dem Schiff, gab es dann hinauf ins Schiff, darüber rutschten ihm die Füße vorwärts aus, und fuhr mit einer großen Welle, die eben herauffuhr, unter das Schiff und wurde nicht mehr gefunden. Es war also blos Unvorsichtigkeit Schuld an diesem Unglück.

August
1. Der Sturm ließ die Nacht durch etwas nach. Am andern Morgen wurde er wieder desto stärker und mußten wieder auf dem nämlichen Platz bleiben. Nur mit Lebensgefahr konnte man mit Achen [Kähnen] in die Stadt kommen um Nahrung zu holen.
2. ließ der Sturm etwas nach, und gegen Mittag hörte er ganz auf und hatten das schönste Wetter. Um 2 Uhr fuhren wir, dem allgütigen Heiland dankend, von dieser langweiligen Insel ab. Abends 9 Uhr landeten wir der türkischen Festung Sementria [Semendria] gegenüber, an einem unbewohnten Ort.
3. fuhren wir morgens 4 Uhr ab und kamen 6 Uhr bein Cobin [Kubin] an, wo die Pässe wieder gezeigt werden mußten. Auch wurde ein alter Mann und eine alte Frau, welche diese Nacht gestorben waren, beerdigt. 2 Uhr fuhren wir wieder ab und landeten abends 8 Uhr bei Tobrawaz. (Dubravea)
4. fuhren wir morgens 4 Uhr ab und landeten 10 Uhr bei Neu Motga [Neu Moldava], in welcher Gegend Silber- und Kupferbergwerke sind. Abends landeten wir in einem unbewohnten Ort.
5. fuhren wir mittags 4 Uhr ab, mußten aber von 6 bis 9 Uhr Nebel feiern. Nachmittags fuhren wir von 2 bis 5 Uhr durch den Gasan [Kasan-Paß], welches ein enges, auf beiden Seiten mit ungeheuren Felsenwänden eingeschlossenes Tal ist, wo Würbel und Strudel stets miteinander abwechseln und weit gefährlicher ist als bei Linz. Abends 6 Uhr kamen wir in Orsowa an, welches der letzte Ort dieses Wegs in der Christenheit ist.
6. blieben wir da, weil die Vorsteher nach Neu-Orsowa zum Pascha mußten, ¾ Stunden von hier, um die Pässe visieren zu lassen.
7. morgens 9 Uhr fuhren wir ab und an Neu-Orsowa vorbei, welche Festung in Gestalt eines Halbmondes mitten in der Donau liegt. Von 19 bis 11 Uhr fuhren wir durch den allergefährlichsten Ort auf der ganzen Donau, das Eiserne Tor genannt. Das Wasser ist da in einer so fürchterlichen Wallung, daß man natürlich am guten Hindurchkommen zweifeln muß. Die ganze Donau ist da mit Felsen wie vollgeworfen, so daß man sie überall herausstehen sieht, wo das Wasser hoch in die Höhe fährt. Die Schiffe mußten bald links, bald rechts zwischen den Felsen hindurch geschafft werden, und doch hörte man, wie sie über niedrige Felsen wegknarrten, daß einem Angst und bang dabei wurde. Um 12 Uhr landeten wir der türkischen Festung Glatuwa [Kladova] gegenüber, wo die Pässe wieder gezeigt werden mußten, weswegen wir da übernachten mußten.
8. mußten wir wieder da bleiben, weil die neuangenommenen Fährleute sich so mit Brantwein berauscht haben, daß wir uns ihnen nicht anvertrauen konnten.
9. wurde mittags [?] Uhr abgefahren beim lieblichsten Wetter und mußten aber 1 Uhr wegen starkem Wind landen und 5 Uhr gings wieder vorwärts und 9 Uhr landeten wir an einem unbewohnten Orte.
10. wurde schon morgens 3 Uhr abgefahren und kamen abends 3 Uhr in Wittin [Vidin] an, wo die Pässe sogleich mußten zum Pascha gebracht werden.
11. Nachmittags 3 Uhr fuhren wir ab, und landeten abends 8 Uhr an einem unbewohnten Ort.
12. fuhren wir von morgens 3 Uhr bis abends 8 Uhr und sahen den ganzen Tag nur zwei Orte, die am Ufer lagen, dagegen war die Donau desto mehr mit Trabgänsen und wilden Enten bevölkert; wir landeten wieder an einem unbewohnten Ort.
13. fuhren wir wieder morgens 3 Uhr ab und hatten den ganzen Tag eine fast unerträgliche Hitze, und landeten erst abends 10 Uhr an einem unbewohnten Ort.
14. wir fuhren wieder um 3 Uhr ab und kamen um 10 Uhr bei Ruschtschuk (Rustschuk) an, welches eine von den Russen anno 1811 stark ruinierte Festung ist...
15. morgens 6 Uhr fuhren wir ab, mußten aber von 8 bis nachmittag 3 Uhr Wind feiern und landeten 7 Uhr bei Popina. Seit 3 Tagen liegt meine Frau hart darnieder. Der Johann, die Rosina und Leonhard beklagen sich auch viel über Kopfweh, Mattigkeit und Gliederreißen...
16. fuhren wir um 8 Uhr ab, die Hitze ist wieder sehr groß. Nachmittag 4 Uhr fuhren wir an Silistria vorbei und landeten 8 Uhr an einem unbewohnten Ort.
17. gings 3 Uhr ab und ist wieder sehr heiß. Abends landeten wir der Festung Chursowa (Harsowa) gegenüber an einem unbewohnten Ort.
18. fuhren etliche von jedem Schiff hinüber nach Chursowa, um die Pässe zu zeigen und Lebensmittel zu kaufen. Morgens 10 Uhr wurde abgefahren u. abends 8 Uhr an einem unbewohnten Ort gelandet.
19. kamen wir von 5-12 Uhr bei großer Hitze wohlbehalten in Galatz an: Gegen abend kam ein kühler Wind, welche sich die Nacht durch in Sturm verwandelte.
20. heute früh ist noch Sturm und ein wenig Regen. Die Vorsteher speisen heut beim russischen Konsulat in der Stadt.
21. kam der Herr Konsul nebst Familie heraus zu uns und speisten mit den Vorstehern unter einem Zelt. Der Tag war angenehm.
22. hatten wir wieder ein wenig Regen, welches eine große Wohltat für uns ist, da wir sehr viel Kranke hatten und auch täglich etliche starben.
23. war wieder sehr heiß. Noch immer wissen wir nicht, wann wir von hier wegkommen.
24. Sonntag wurde das Heilige Abendmahl gehalten... Von allen 5 Schiffen liegt gegenwärtig die Hälfte krank, auch sterben viele alte Leute, auch solche, welche schon eine alte Ansteckung in sich haben, fallen bald dahin.
25. Sehr heiß, sonst nichts Besonderes...
28. wieder recht heiß. Abends 9 Uhr wurde ich salve venia so durchfällig, daß ich 1½ Stund nicht vom Abtritt gehen konnte, starkes Erbrechen und Krämpfe in den Gliedern, daß ich in der einzigen Nacht so schwach wurde, daß ich kaum mehr den Weg übergehen konnte.
29. wurde um 10 Uhr Gott Lob und Dank wieder abgefahren. Von allen 5 Schiffen starben in diesen Tagen, die wir bei Galatz zubringen mußten, 42 Menschen.
30. fuhren wir bei Mondschein um 12 nachts ab, mußten aber um 3 Uhr wegen Sturm wieder an einem unbewohnten Ort landen. Der Sturm dauerte den ganzen Tag und die Nacht darauf fort.
31. dauerte der Sturm wieder fort, auf den Abend kam Donnerwetter mit starkem Regen die ganze Nacht durch.

September
1. dauerte der Sturm wieder fort den ganzen Tag und die Nacht mit noch nie gehörtem starken Donnerwetter und mußten also wieder bleiben, wo wir waren.
2. fuhren wir bei Regenwetter ab und kamen um 3 Uhr bis Ismael (Ismail) an und mußten auf einer Insel landen.
3. war wieder ein schöner Tag, wo wir uns wieder trocknen konnten...
6. auch ist der Leonhard und der Albrecht am ganzen Leib geschwollen, was in die Haut geht.
7. auch die Margarete fängt an zu schwellen, der Josef hingegen wird alle Tage magerer, auch hat sich der Johann ins Bett gelegt.
8. fuhren wir von der Insel weg und sollten in die Quarandin. Da wir aber dahin kamen, war noch nicht Platz genug vor uns und mußten also an der Donau liegen bleiben.
9. mußten wir wieder bleiben. Wir können kaum Lebensmittel ums Geld haben und Medizin keine, und habe vor meine viele Kranken gar nicht zur Labung als Donauwasser.
12. morgens um 8 Uhr ist mein lieber Leonhard so sanft im Herrn Jesu entschlafen, daß wir lang im Zweifel standen, ob er wirklich tot sei. Ebenso sanft entschlief heute abends Bruder Jakobs Friederike.
13. heute ist meine liebe Margaret todkrank, die Katharina kann auch wieder auf keinem Fuß stehen.
14. heute sind meine Kinder alle wieder um vieles besser, dem lieben Heiland sei Lob und Dank dafür.
16. abends 4 Uhr ist mein lieber Josef sanft in dem Herrn entschlafen.
17. mußten wir Kleider und Weißzeug aufs Schiff tragen zum Räuchern, und da es so ziemlich kalt war, mußten wir beim Aus- und Ankleiden arg verfrieren.
18. ist wieder recht kalt, auch heute wird wieder geräuchert...
27. wieder Regen. Heute kamen wieder 3 Schiffen 400 Seelen an, welche neben uns Quarandin halten.

Oktober
1. jetzt scheint es, als ob die Quarandin bald aus sei. Das Fieber kam heute stärker bei mir...
4. zogen wir aus der Quarandin in ein freies Lager vor dem Stadt Tor.
5. heute hatte ich das Fieber wieder recht stark. Mein lieber Schwager Busch starb heute am hitzigen Gallenfieber...
6. heut war eine schreckliche Sturm- und Regennacht, alle Zelte wurde durchgeweicht und das Wasser lief unter unseren Betten durch. Sturm und Regen dauerten den ganzen Tag und die folgende Nacht durch fort, wobei Schwester Sofie ihr Zelt vom Sturm eingerissen wurde und sie u. ihre Kinder damit zugedeckt wurden.
7. morgends schlüpften sie darunter hervor und krochen in mein Zelt und unter meine nassen Betten. Heute wurde ich durchs Fieber so abgemattet, daß ich mich nicht mehr auf den Füßen erhalten konnte...

November
1. wurden wir samt unserem Gepäck wieder auf ein Schiff gebracht, wo wir über den Dnjestr, welcher in dieser Gegend 2 Stund breit ist, gefahren wurden und wurden in Ovidiopol in einer Kaserne einquartiert, wo wir wieder 3 Tag Quarantine halten mußten.
5. kamen wir wieder Fuhren und wurden wieder 4 Stunden weiter nach Josefstal gebracht und bei einem Bauern einquartiert, welches eigentlich das Ende unser 133-tägigen Reise ist.
8. fuhren Jakob und ich nach Odessa, um die so weit berühmte Stadt zu besehen. Aber wie wurde unsere Erwartung getäuscht, als wir so viel leere Plätze, so viele Erdhütten, schlechte Häuser und noch überdies den knietiefen Kot sahen. Wir blieben über Nacht und da wir nicht nach Landesart mit einem großen Schafspelz bekleidet waren, so hatten wir auf einem Tisch ein hartes und kaltes Nachtlager.
9. Sonntag. Wie erstaunten wir, als wir den Sonntag so entheiligt sahen. Da war das Handeln und Gewühl in dem tiefen Dreck herum noch viel toller, als am Samstag. Dies und noch vieles machten mir so einen widerlichen Eindruck gegen Odessa, daß ich mich fest entschloß, künftiges Frühjahr mit nach Kaukasien zu gehen.

Dezember
5. wurden wir vom Herrn Doktor und Inspektor in Großliebental visitiert, und da wir alle von der Krätze angesteckt waren, so wurden wir sogleich nach Großliebental ins Spital gebracht.
27. kamen wir wieder nach Josefstal in unser altes Quartier. Nun schrieb ich meinen 3 Bogen starken Brief an meine lieben Brüder in Kupferzell, wo ich ihnen einen Auszug aus diesem Tagebuch mitteilte. So lebten wir ruhig und mit unserm Schicksal zufrieden.

Aus: Karl Stumpp, Die Auswanderung aus Deutschland nach Rußland in den Jahren 1763 bis 1862 Selbstverlag, Tübingen, o. J., Seite 33 - 40

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