Geschichte der Russlanddeutschen

8 Kulturarchiv

8.2.1 Quellen

8.2.1.22 ANLEITUNG FÜR DIE LANDWIRTSCHAFTLICHEN VEREINE

in den deutschen Kolonien Südrußlands

1) Behufs möglichst erfolgreicher Hebung der Landwirtschaft in den deutschen Kolonien Südrußlands wird in jedem Bezirk eine besondere Gesellschaft unter dem Namen "landwirtschaftlicher Verein" gegründet.

2) Durch diese Verfügung werden die Bezirks- und Dorfsbehörden nicht von der Erfüllung der Pflichten befreit, welche ihnen durch die Verordnungen über die ausländischen Ansiedler im Reiche (zweites Kapitel) zum Zweck der Förderung der Landwirtschaft auferlegt sind, denn die Hauptaufgabe der Vereine ist, den Bezirksältesten und Schulzen die Erfüllung dieser Pflichten durch Bezeichnung der nächsten Mittel zur Erreichung der gewünschten Hebung und durch Einführung einer mehr geregelten und gleichmäßigen Ueberwachung zu erleichtern.

3) Jeder Verein muß aus wenigstens drei Mitgliedern bestehen; übrigens kann auf diesen Posten unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse auch eine größere Anzahl von Personen ernannt werden.

4) Die Dorfsgemeindeversammlungen, welche einen Bezirk bilden, wählen aus der Mitte der Kolonisten desselben Kandidaten auf den Posten von Mitgliedern in doppelter Anzahl und unterbreiten die Listen der Kandidaten durch die Bezirksämter dem Fürsorgekomite, welches aus der Zahl dieser Kandidaten die Mitglieder ernennt.

5) Zu Kandidaten können nur solche Wirthe gewählt werden, welche in der Landwirtschaft die meiste Erfahrung an den Tag gelegt haben, und sich im Hauswesen und durch Erfolge in der Gärtnerei und im Forstwesen auszeichnen, denn die Mitglieder sollen, dem Gründungszweck des Vereins speziell entsprechend, den Uebrigen als Beispiel und Muster dienen. Personen von zweifelhafter Sittlichkeit, welche Lastern ergeben und bestraft sind, können, auch wenn sie den Ansprüchen in wirtschaftlicher Beziehung genügen, nicht als Kandidaten gewählt werden.

6) Personen, welche bereits Aemter als Oberschulzen und Schulzen bekleidet und sich im Gemeindedienst die Achtung der Kolonisten erworben haben, müssen, wenn sie gleichzeitig die im vorstehenden § erläuterten Bedingungen in sich vereinigen, vorzugsweise zu Kandidaten gewählt werden.

7) In den Kolonien, welche ihrer Ortslage nach nicht zum Rayon eines Bezirks gehören und deshalb von besondern Dorfsämtern verwaltet werden, wird kein landwirtschaftlicher Verein gegründet, welcher wegen der äußerst geringen Bevölkerung weder genügend zusammengesetzt werden, noch einen hinlänglichen Wirkungskreis haben könnte, allein in solchen Kolonien wird um so strenger darauf gehalten, daß bei den Wahlen zur Besetzung der Aemter nur die ausgezeichneten Wirthe, welche fähig sind, für die Hebung der Landwirthschaft Sorge zu tragen, - berücksichtigt werden.

8) Die Vereinsmitglieder werden auf unbestimmte Zeit gewählt. Sie können um ihre Entlassung nur dann bitten, wenn sie in diesem Beruf nicht weniger als neun Jahre gewirkt haben, oder aus Ursachen, welche besondere Berücksichtigung

  - 1) Obwohl es im Original nicht "ereine", sondern "Kommissionen" heißt, so habe ich doch erstern Ausdruck vorgezogen, nachdem die offizielle (übrigens herzlich schlechte) deutsche Uebersetzung denselben gebraucht und er auch unsern Kolonisten geläufiger ist. D. Ueb.

  - 2) Für die Ssaratowschen Kolonien vom Minister der Reichsdomänen den 21. September 1850 bestätigt (mit Ausnahme von § 46); in den südrussischen, speziell den Molotschnaer Kolonien schon früher in Wirksamkeit. D. Ueb.

verdienen, wie: wegen unheilbarer Krankheit oder hohen Alters. Der Obrigkeit hingegen ist es vorbehalten, sie jeder Zeit abzusetzen, sobald sie der Nichterfüllung ihrer Pflichten oder überhaupt solcher Handlungen überführt werden, welche unvereinbar mit der Ehre und des Ehrenpostens eines Mitgliedes des landwirtschaftlichen Vereins unwürdig sind.

9) Im Falle zeitweiliger Abwesenheit eines der Mitglieder werden seine Obliegenheiten von einem der Kandidaten, welche die Obrigkeit bestimmt, versehen; an Stelle eines gänzlich ausgetretenen aber wählen die Dorfsversammlungen auf`s Neue zwei Kandidaten, bezüglich welcher sie bei der Obrigkeit behufs Bestätigung vorstellig werden.

10) Unter den Mitgliedern ist keine Unterordnung zulässig; ihre Beziehungen zueinander beruhen auf Gleichberechtigung, und ernennen sie für die gemeinsamen Berathungen selbst aus ihrer Mitte eine beständigen Vorsitzer, über dessen Wahl sie der Obrigkeit Anzeige erstatten.

11) Es ist den Mitgliedern der Vereine selbst anheimgestellt, die Geschäfte in der Ueberwachung der Landwirthschaft bei den Kolonisten unter sich zu vertheilen, entweder nach den Zweigen der Landwirthschaft, oder nach Kolonien, wie es in Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zweckmäßiger erscheinen wird. Dem entsprechend widmet jedes Mitglied seine Fürsorge nur dem Zweige oder der Kolonie, welche ihm anvertraut sind; alljährlich jedoch im Frühling und im Herbst nehmen die Mitglieder gemeinsame Besichtigungen vor, welche als Basis zur möglichst richtigen Abfassung sowohl des Berichtes des landwirthschaftlichen Vereins über die Wirksamkeit und Erfolge für den verflossenen Zeitraum, als auch der Vorschläge über für die Zukunft als nothwendig erachteten Arbeiten und Maßnahmen zu dienen hat.

12) Den Vereinsmitgliedern wird keine vollziehende Gewalt anheimgestellt; sie wirken auf die Kolonisten durch Beispiel, Belehrungen und Ermahnungen; falls sie es aber für nöthig finden, Strenge anzuwenden, so setzen sie sich mit den Dorfs- oder Bezirksämtern in Verbindung, welche jede ihre gerechte und zum Besten der Kolonien hinneigende Forderung unverzüglich zu erfüllen und im entgegengesetzten Falle strenge Ahndung zu gewärtigen haben. Gleicherweise beordern die Mitglieder des landwirthschaftlichen Vereins bei Ausführung von ihm angeordneter Arbeiten die Arbeiter nicht, sondern setzen sich bezüglich Aussendung und Zahl derselben mit den Dorfs- und Bezirksämtern in Verbindung.

13) Der landwirthschaftliche Verein nimmt keinen Antheil an den Verwaltungsangelegenheiten und ist vom Bezirksamt unabhängig, ist jedoch, indem er durch dasselbe seine Anordnungen in Ausführung bringt, verpflichtet, mit ihm in Uebereinstimmung zu handeln. Zu diesem Zweck versammelt der Verein sich zu den Berathungen im Bezirksamt, ladet zu denselben auch die Mitglieder des letztern ein und macht alle seine Vorstellungen an die höhere Obrigkeit, falls nur keine Meinungsverschiedenheit zu Trage tritt, in Gemeinschaft mit dem Bezirksamt. Diese Vorstellungen werden zuerst von den Mitgliedern des Bezirksamtes und dann von denjenigen des landwirthschaftlichen Vereins unterschrieben.

14) Das Bezirksamt kann, indem es an den Berathungen des landwirthschaftlichen Vereins theil nimmt, welchen es mit allen von ihm abhängigen Mitteln zu unterstützen hat, die Beschlüsse desselben nicht aus eigener Macht umstoßen, unterschreibt jedoch, wenn es eine Forderung oder Verfügung des Vereins als unstatthaft, nutzlos oder als die Kolonisten bedrückend erachtet, das Journal nicht und unterbreitet seine Einwürfe der höhern Obrigkeit, bis zu deren Entscheidung der Beschluß des Vereins selbst nicht in Ausführung gebracht wird. Zur Vermeidung unnützer Hemmnisse seitens des Bezirksamtes müssen diese Einwendungen klare Beweise darüber enthalten, daß die Forderungen oder Anordnungen des landwirthschaftlichen Vereins nicht den erwarteten Nutzen bringen oder für die Kolonisten drückend sein werden.

15) Gleicherweise beräth sich das Bezirksamt vorher mit dem landwirthschaftlichen Verein, wenn es seiner Pflicht gemäß es für nothwendig erachtet, in den ihm untergeordneten Kolonien oder in den zum Zweck der Förderung der Landwirthschaft bestehenden Gemeinde-Anlagen und Anstalten, als; Pflanzungen, Gemeindegärten, Schäfereien, Gemeindeäcker u. s. w., irgend eine wirthschaftliche Verbesserung einzuführen.

16) Es ist dem landwirthschaftlichen Vereine, oder jedem seiner Mitglieder besonders, nicht untersagt, sich in Fällen, welche keinen Aufschub dulden, oder in solchen, wo ihnen seitens der örtlichen Behörde nicht der gehörige Beistand geleistet wird, sich direkt an die höhere Behörde zu wenden.

17) Die Vereinsmitglieder ertheilen den Dorfsämtern der Kolonien, welche ihrer Ueberwachung anvertraut sind, Vorschriften, welche von den Aemtern gleich vom Bezirksamt empfangenen ausgeführt werden; die Mitglieder sind jedoch selbst nicht berechtigt, Strafen oder Bußen aufzuerlegen, so wie sie auch nicht die Verabfolgung von Geld verlangen dürfen. Die Dorfschreiber der betreffenden Kolonien sind verpflichtet, für sie Verzeichnisse und andere Papiere anzufertigen.

18) Zur gemeinschaftlichen Berathung der auf die Landwirthschaft bezüglichen Gegenstände versammelt sich der Verein im Bezirksamt. Es sind drei unabänderliche Versammlungen bestimmt: eine im Frühling, eine im Herbst und eine zu Ende des Jahres. Der Zeitpunkt dieser Zusammenkünfte wird vom Vorsitzer festgesetzt, die beiden ersten finden stets nach der Besichtigung der Kolonien durch den Verein statt, um, dem Ergebnis dieser Besichtigung entsprechend, Verfügungen über nothwendige Arbeiten zu treffen, oder Mittel zur Beseitigung wahrgenommener Mängel anzugeben; die letzte Versammlung hat die Abfassung des Berichts über die Thätigkeit des Vereins und seine Pläne für das kommende Jahr zum Zweck, so wie die Bestimmungen von Prämien für Diejenigen, welche sich in Bezug auf die Landwirthschaft ausgezeichnet haben, über welche der höhern Obrigkeit Vorstellung gemacht wird.

19) Außerdem versammeln sich die Mitglieder jedesmal, wenn sie eine bezügliche Einladung des Vorsitzers erhalten. Aus diesem Grunde wendet sich ein Mitglied, welches in Folge eingetretener Umstände eine gemeinsame Berathung für nöthig hält, deshalb an den Vorsitzer, indem es demselben den Gegenstand dieser Berathung mittheilt.

20) Die Journale der Versammlungen und andere Papiere des Vereins werden vom Bezirksschreiber angefertigt. Der Verein darf sein Siegel haben, welches jedoch nur bei Schriftstücken in Anwendung kommt, welche vom ganzen Verein und nicht von einzelnen Mitgliedern ausgehen. Dieses Siegel wird beim Vorsitzer aufbewahrt.

21) Die Vereinsmitglieder beziehen keinen Gehalt, sind aber, gleich den Bezirks- und Dorfsältesten, von Naturalleistungen und Reihendiensten befreit; außerdem müssen die Gemeinden dieselben auf den Rundreisen in ihren Berufspflichen unterstützen.

22). Die Vereinsmitglieder können, so lange sie in diesem Beruf verharren, ohne ihre Einwilligung zu keinen andern Gemeindediensten gewählt werden, eben so wie diejenigen, welche nicht unter neun Jahre als solche fungirt haben. Der Posten der Mitglieder des landwirthschaftlichen Vereins gilt als eben so ehrenvoll, wie das Amt der Mitglieder des Bezirksamtes.

23). Für die erfolgreiche Erfüllung ihrer Pflichten im Laufe von neun Jahren, und für besondere Auszeichnung auch vor dieser Frist, werden die Mitglieder des landwirthschaftlichen Vereins mit Medaillen belohnt.

24). Die Vereinsmitglieder werden nur laut Beschlüssen der höhern Kolonialobrigkeit Strafen oder einer Pön unterworfen.

25). Die hauptsächlichste Pflicht der Vereinsmitglieder besteht darin, für Andere im landwirthschaftlichen Fach als Muster zu dienen; auf diese Bedingung nur gründet sich das ihnen durch gegenwärtige Bestimmung zugeeignete Recht, andere zu belohnen und zu überzeugen. Die Vereinsmitglieder müssen den Kolonisten durch ihr Beispiel beweisen, daß das von ihnen Verlangte eben so nützlich, als ausführbar ist; diese Ueberzeugung ist ohne Zweifel die wirksamste.

26). Die Landwirthschaft in den Kolonien begreift in sich folgende Gegenstände: Ackerbau, Viehzucht, Garten- nebst Gemüsebau, Forstwesen, Seidenbau und Weinbau.

27). In Bezug auf den Ackerbau ist der landwirthschaftliche Verein verpflichtet, Mittel zur Steigerung des Ertrages des Bodens nicht nur durch Verbesserung der Feldbestellung, sondern überhaupt auch durch möglichst zweckmäßige und richtige Benützung desselben ausfindig zu machen.

28). Der Verein bemüht sich, in den Kolonien seines Bezirks eine Wirthschaftsmethode einzuführen, welche am meisten dem Boden entspricht und den örtlichen Verhältnissen angepaßt ist; zu diesem Zweck bestimmt er mit Hilfe von Versuchen, welche im Kleinen auf Gemeindeäckern angestellt werden können: den vortheilhaftesten Fruchtwechsel, das Maß und die Art und Weise der Düngung, den Nutzen und die Reihenfolge der Brachfelder, die richtigste Vertheilung der Arbeit und endlich die Zeit und die besten Methoden der Aussaat und der Einheimsung des Getreides, der Spinnpflanzen, der Gräser u. s. w.

29) Ebenso trägt er Sorge für die Verbesserung der landwirthschaftlichen Geräthe, für die Verschreibung von Samen noch unbekannter oder verbesserter Getreide- und Grasarten, für die Errichtung von Dämmen und Anlage von Teichen, um die Führung von Gräben dort, wo die Ansammlung des Wassers nothwendig ist oder vermieden werden soll, für die Anlage künstlicher Wiesen, und unterbreitet seine Vorschläge bezüglich dieser Gegenstände, in so fern die Mitwirkung der höhern Obrigkeit erforderlich sein wird, der letztern in der oben angegebenen Weise zur Einsichtnahme.

30) Die Vereinsmitglieder bestehen darauf, daß der jeder Kolonie gehörende Komplex seiner Ortslage und dem in der Kolonie angenommenen System der Ackerwirtschaft entsprechend in eine zweckmäßige Anzahl Felder und diese in Wirthsparzellen eingetheilt, daß die Feldarbeiten rechtzeitig und mit der gehörigen Sorgfalt verrichtet werden, das zur Aussaat benützte Saatgetreide von guter Beschaffenheit sei und besonders, daß die zur Aussaat zubereiteten Felder durch tiefes Pflügen und sorgfältiges Eggen genügend aufgelockert und nach dem Aufgehen des Getreides von dem dasselbe erstickende Unkraut gereinigt werden. Die Vereinsmitglieder müssen bemüht sein, durch eigenes Beispiel die Kolonisten zu überzeugen, daß nicht die Menge der Aussaat, sondern die Sorgfalt in der Behandlung der Aecker die Landwirthe bereichert. Die Vereinsmitglieder besichtigen zu verschiedenen Zeiten des Jahres die Felder der Kolonisten und zeigen den Dorfsämtern die Wirthe an, welche in der Bestellung derselben nachlässig sind.

31) Nachdem die von der Viehzucht erzielten Vortheile nicht so sehr von der Anzahl, als von der Beschaffenheit des Viehes abhängt, so muß die Sorge des landwirthschaftlichen Vereins vorzugweise auf die Veredelung des Viehes gerichtet sein, um so mehr, als die Viehzucht in Bezug auf die Anzahl bereits zu beträchtlicher Entwickelung gelangt ist.

32) Zu diesem Zweck werden die Vereinsmitglieder: a) von Zeit zu Zeit die Gemeinde-Zuchthengste und Stiere besichtigen, darauf achten, daß dieselben ihrer Bestimmung entsprechen, und darauf bringen, daß untaugliche durch bessere ersetzt werden; b) über die zweckmäßige Haltung des Viehes wachen und sich zu diesem Zweck bemühen, unter den Kolonisten nützliche Kenntnisse über die Aufzucht des Viehes zu verbreiten und sie zum Anbau von Futterkräutern aufzumuntern.

33) Die Vereinsmitglieder besichtigen ebenfalls nicht weniger als zweimal jährlich die Gemeindeschäfereien, wo solche angelegt sind, und berichten der höhere Obrigkeit über den Zustand derselben in den Jahresabrechnungen; sie haben die Vertheilung der Gemeindeböcke zum Sprung und nachdem sie sich von dem gesunden Zustande derselben überzeugt ihre Zurücknahme zu leiten, wohnen der Brackirung der Schafe bei und kommen mit Anträgen über nützliche Aenderungen und Neuerungen bezüglich der Schäfereien ein.

34) Der landwirthschaftliche Verein achtet darauf, daß auf den bei den Häusern zu diesem Zweck bestimmten Plätzen allmälig nach Möglichkeit Gärten angelegt werden, wobei den Kolonisten der Nutzen dieses Gewerbes auseinanderzusetzen ist, und indem ihnen die Mittel zum erfolgreichen Betriebe derselben zu erleichtern sind.

35). Da der Gartenbau einige Erfahrungen erheischt, so unterweisen die Mitglieder des landwirthschaftlichen Vereins die Kolonisten durch eigenes Beispiel, wie auch im Wege der Anleitung und Belehrung: 1) wie der Boden zuzubereiten ist, um ihn zur Ziehung von Bäumen möglichst tauglich zu machen; 2) welche Gattungen Obstbäume nach der örtlichen Lage und dem Boden mit dem besten Erfolge angepflanzt werden können; 3) auf welche Weise die Anpflanzung der Bäume stattzufinden und wie man sie zu behandeln hat, um sie vor der schädlichen Einwirkung der Kälte, der Dürre und der Winde zu schützen, sie dem wohlthätigen Einfluß der Sonne und der Luft auszusetzen, da von diesen Bedingungen das Wachstum und die Fruchtbarkeit der Bäume abhängt, und 4) wie die Qualität der Bäume durch Okulieren, Pfropfen zu verbessern ist.

36) Der landwirthschaftliche Verein muntert die Kolonisten auch zur Anlage von Pflanz- und Baumschulen bei sich auf, welche sie nicht nur in die Lage versetzen werden, ohne Geldauslagen ihre Gärten zu erweitern und den durch Dürre und Ausfrieren verursachten Verlust an Bäumen zu ersetzen, sondern für Viele sogar als Einnahmequelle dienen werden.

37) Zu den Obliegenheiten des Vereins gehört es auch, dafür zu sorgen, daß die Wirthe mit Sämereien, Bäumchen und Pfropfreisern versehen werden, und unter den Kolonisten nützliche Kenntnisse über die Mittel zu verbreiten, durch welche die Bäume vor Krankheiten bewahrt werden, das Obst vor dem Verderben schützt wird u. u.

38) Auf den Gemüsebau und den Anbau nützlicher gewerblicher und Handelspflanzen muß die Aufmerksamkeit des landwirthschaftlichen Vereins gleichfalls gerichtet sein.

39). Bei Besichtigung der Kolonien nehmen die Vereinsmitglieder die Gärten der Wirthe in Augenschein und überwachen die Fortschritte derselben, wobei sie auch darauf bestehen, daß die Gärten genügend vor dem Vieh geschützt seien. Sie führen ein jährliches Verzeichnis über die Zahl der angepflanzten und vorhandenen Bäume, welche sie dem Jahresbericht beifügen.

40) Die in den Kolonien angelegten Waldanlagen von ½ Dessj. auf den Wirth stehen unter unmittelbarer Leitung der landwirthschaftlichen Vereine, welche innerhalb der Grenzen wirken, welche den Schulzen bezüglich der ihnen auferlegten Pflicht vorgezeichnet sind, die Kolonisten in andern Zweigen der Landwirthschaft anzuspornen.

41) Der Verein achtet darauf, daß die Kolonisten in keinem Fall durch die Arbeiten in den Plantagen von andern wichtigern Beschäftigungen in der Wirthschaft abgehalten werden, und wählt zu diesem Zweck im Frühlinge und im Herbst solche Zeit, welche als freie betrachtet werden kann.

42) Die Anpflanzung in den Plantagen hat allmälig zu geschehen, ohne daß die Kolonisten dadurch gedrückt werden; alljährlich wird zur Anpflanzung von Bäumen ein solcher Flächenraum bestimmt, welchen jeder Wirth ohne große Anstrengung und mit Aufopferung der geringsten Anzahl von Arbeitstagen bearbeiten und bepflanzen kann.

43) Zur Pflicht des Vereins gehört: 1) Die Auswahl eines passenden Platzes für die Anpflanzung, wo dies noch nicht stattgefunden hat; 2) die Bestimmung der zuverlässigsten Methode, das Land für die Plantage zu bearbeiten, so wie der Geräthe, welche zu diesem Zwecke dienen können; 3) die Anlage einer Baumschule zur Versorgung der Plantage mit Setzlingen, und die Anwendung von Maßregeln zur gehörigen Schonung derselben in ihrem jungen Wachstum; 4) das Einsammeln und Beziehen (Verschreiben) der Sämereien von Waldbäumen und 5) die Ueberwachung darüber, daß die Waldanpflanzung gehörig unterhalten und vor dem Vieh zweckmäßig eingefriedigt werde.

44) In Gegenden, wo auf Kolonialland Naturwälder vorkommen, ergreift der landwirthschaftliche Verein die wirksamsten Mittel zum Schutz und zur Erweiterung derselben und achtet zu diesem Zweck darauf, daß diese Wälder gereinigt, mit Gräben umzogen und überhaupt vor Waldfrevel und Beschädigung geschützt werden, so wie, daß durch die Verabfolgung von Reisig und Bäumen an die Kolonisten für den häuslichen Bedarf der Wald nicht der Erschöpfung ausgesetzt werde.

45) Da die Erfahrung lehrt, daß der Seidenbau im südlichen Rußland fast überall einen möglichen und vortheilhaften Erwerbszweig bildet, so trägt der landwirthschaftliche Verein Sorge für die Verbreitung desselben unter den Kolonisten und versieht sich zu diesem Zweck mit Maulbeersamen und Seidenraupeneiern, um sowohl diese als jene an die zuverlässigsten Wirthe zu vertheilen, welchen er auch die auf diesen Gegenstand bezüglichen Anleitungen giebt.

46) Der Verein ordnet auch an, daß jeder Wirth auf dem ihm in der Gemeindeplantage gehörenden Antheil eine Anzahl Maulbeerbäume anpflanze, und daß die lebenden Hecken zwischen den Hofstellen und rings um die inneren Viertel aus Maulbeergebüsche bestehen.

47) Zur Obliegenheit des landwirthschaftlichen Vereins gehört es auch, daß in den Kolonien, welche im Seidenbau den größten Erfolg erzielen, Seidenhaspeln und Spinnmaschinen aufgestellt werden.

48) Der landwirthschaftliche Verein hat nicht so viel für die Verbreitung des Weinbaus Sorge zu tragen, als für die Verbesserung desselben, indem er die Kolonisten darüber belehrt, wie die Weinreben zu behandeln sind, davon die besten Sorten verschreibt und den Kolonisten die Mittel angiebt, wie der Wein vor dem Verderben geschützt wird.

49) Damit die Mitglieder des landwirthschaftlichen Vereins, ihrer Bestimmung gemäß, die übrigen Kolonisten belehren, so wie dieselben auch mit Sämereien und Pflanzen versehen, verschiedenartige Versuche anstellen und verbesserte Geräthe einführen können, ist es nothwendig: erstlich, ihnen die Möglichkeit zu geben, die vollständige Kenntniß aller Zweige der Landwirthschaft zu erwerben, und zweitens, sie in den Geldmitteln nicht zu beschränken.

50) Behufs Erreichung des ersten dieser Zwecke wird der Verein von seiner Obrigkeit und von der Inspektion der Landwirthschaft in den südlichen Gouvernements mit den erforderlichen Anleitungen und Belehrungen versehen, und legt derselbe außerdem Bibliotheken für die Landleute leicht verständlicher Schriften über die Landwirthschaft an, welche beim Bezirksamt aufbewahrt werden, wobei den Mitgliedern des landwirthschaftlichen Vereins das Recht anheimgestellt ist, nicht nur die Bücher persönlich zu benützen, sondern dieselben auch zuverlässigen Wirthen gegen Quittung und mit der Verantwortlichkeit für ihre Zurückstellung in gutem Zustande zu geben. Die Ausgaben für die Anschaffung von Büchern werden auf Rechnung der Gemeindesummen bestritten, und die Auswahl der Bücher geschieht vorzugsweise nach Angabe des Inspectors der Landwirthschaft im südlichen Rußland, mit welchem die Kolonialobrigkeit sich über diesen Gegenstand beräth. Die Höhe der Summe, welche jährlich für diesen Zweck verwendet werden kann, wird nicht festgestellt, indem sie von den Mitteln des Bezirks abhängt.

51) Gleicherweise ist es den landwirthschaftlichen Vereinen anheimgestellt, über jede vorkommende Unklarheit mit einer Vorstellung entweder direkt an den Inspektor der Landwirthschaft im südlichen Rußland oder an ihre Obrigkeit einzukommen, welche nicht unterlassen wird, entweder von sich aus oder, nachdem sie sich vorher mit der Inspektion der Landwirthschaft in Relation gesetzt, das Mißverständnis aufzuklären. Es versteht sich von selbst, daß die Anleitungen, welche der Verein den Kolonisten geben wird, nicht auf Muthmaßungen, sondern auf Thatsachen gegründet sein müssen, welche, wie oben gesagt, entschieden oder durch zahlreiche Versuche zu Tage gefördert sind, und daß die Versuche selbst im Kleinen angestellt werden müssen, damit die Wirthe keinen Schaden oder Zeitverlust erleiden.

52) Was die Art und Weise betrifft, wie die Vereine Maschinen, Geräthe, Sämereien und Pflanzen anzuschaffen haben, so kommen sie darüber entweder mit speziellen Vorstellungen bei dem Komite ein, oder sie erläutern ihre Bedürfnisse in den von ihnen alljährlich aufzustellenden Geschäftsplänen. Das Komite weist, nachdem es den Nutzen und die Ausführbarkeit der Forderung in Erwägung gezogen, das erforderliche Geld nach seinem besten Ermessen aus den Gemeindesummen an.

53) Vor Schluß eines jeden Jahres stellen die Vereine einen kurzen Bericht über ihre Thätigkeit und den Zustand der ihnen anvertrauten Kreise auf, so wie einen Plan der Arbeiten, Versuche und Verbesserungen, welche im angehenden Jahr vorzunehmen sind, und stellen Bericht und Plan nicht später, als d. 1. Januar dem Fürsorge-Komite vor, welcher eine Kopie derselben der Inspektion der Landwirthschaft übermittelt.

54) Dem Bericht müssen Tabellen über das Quantum der im Laufe des Jahres angepflanzten Obst-, Wald, und Maulbeerbäume, nebst Angabe der vorhandenen Anzahl derselben, beigefügt sein.

55) Zur Ausführung seiner Pläne schreitet der Verein, sobald sie allgemeine Verfügungen erheischen, nicht früher als nach Empfang der Genehmigung.

56) Zugleich mit der Jahresrechnung erstattet der Verein Anzeige über diejenigen Kolonisten, die sich in einem der landwirthschaftlichen Zweige ausgezeichnet haben; dieselben werden nach speziellen Ermessen der Obrigkeit mit Belobigungsattesten und Geldprämien belohnt.

57) Das Recht auf eine solche Auszeichnung erwerben die Kolonisten: durch Erzielung der in Bezug auf Beschaffenheit und Menge vorzüglichsten Ernte mittelst sorfältigster Bearbeitung der Felder und zweckmäßigster Düngung; durch erfolgreichen Anbau von Futterkräutern; durch Anstellung eines nützlichen Versuches oder Erfindung eines Ackergeräthes, welches die Arbeit erleichtert oder Zeit erspart; durch Aufzucht des besten Viehes, erfolgreichste Bepflanzung der Gärten bei den Häusern mit den ausgezeichnetsten Gattungen von Obstbäumen oder andern werhvollen Gewerbe- oder Handelspflanzen, so wie der Quartale in den Waldanlagen, und schließlich durch die bedeutendste Erzeugung, über 10 Pfund, guter gehaspelter Seide.

58) Bei Verleihung der Geldprämien werden die Mittel Derjenigen, welche sich ausgezeichnet, in Betracht gezogen, damit die Aufmunterung nicht den Reichsten zu Theil werde, welche derselben nicht bedürfen.

59) Es ist den Vereinen anheimgestellt, aus den Gemeindesummen Geldprämien von 10 bis 30 Rbl. zu verleihen, jedoch nicht mehr, als zwei Kolonisten in einer Gemeinde jährlich; bezüglich der einer Belohnung Gewürdigten haben sie bei der Obrigkeit um Genehmigung einzukommen.

Diese "Anleitung" wurde am 21. September 1850 durch den Minister der Reichsdomänen bis auf den Paragraphen 46 für die Wolgakolonien bestätigt. In den südrussischen Kolonien war sie bereits vorher wirksam.

Aus: Alexander Klaus, Unsere Kolonien. Studien und Materialien zur Geschichte und Statistik der ausländischen Kolonisation in Rußland.Odessa 1887, S. Beilagen, S. 17 - 29

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