Geschichte der Russlanddeutschen

8 Kulturarchiv

8.2.3 Literarisches

8.2.3.6 ROPP-ZOPP

Der Vetter Gottlieb war gerade keine Krämerseele, aber trotzdem hatte er sich verführen lassen, einen Tabakhandel anzufangen. Der Handel mit Tabak, der nicht "verakziest" worden war, konnte leicht einen gefährlichen Ausgang nehmen, wenn die Polizei dahinter kam. Anfangs hatte der Vetter Gottlieb große Aengsten ausgestanden, wenn er mit hochgeladenem Wagen in Kosakenstadt angekommen war und sich dort auf die Überfahrt begab; denn dort standen die Wächter "des Gesetzes" dichter und das unbestandete Durchkommen war schwer. Es hatte aber geklappt und es war ein besonderes Hochgefühl, zu empfinden, daß man dem Spürsinn der Polizisten ein Schnippchen gespielt und den Tabak am rechten Wolgaufer hatte.

So ging es gemütlich längere Zeit und der Vetter Gottlieb brachte es schon gut fertig ein lustiges Liedlein zu singen, wenn er das Wolgaufer in Prokrowsk herunterfuhr, denn er sah im Geiste schon die schöner Silberrubel, die ihm als Reingewinn übrigbleiben würden; der Blättertabak war auf der Wiesenseite billig zu kaufen, da dort am Karaman viel gebaut wurde; dagegen auf der Bergseite recht wenig, weshalb der Tabak hier auch immer gut im Preise stand.

Eines schönen Tages hatte er wieder mal glücklich mit schwer beladenem Wagen voll Tabak das rechte Wolgaufer erreicht und war auf der Landstraße schon eine schöne Strecke von Saratow abgefahren, als er unerwartet auf dem Einkehrhof "die rote Madercher" von einem Polizisten angehalten und von diesem gezwungen worden war, nach Saratow zurückzukehren und dort in der Polizeiverwaltung vorzufahren; er war auch "zu dumm" gewesen, denn anstatt dem Polizeimann einige "Buschke" anzubieten, hatte er ihn zum Teufel geschickt, als dieser ihn darum anging, ihm "zu prowiere" zu geben. In der Polizeiverwaltung wurde ein Protokoll aufgenommen; er aber gegen eine Kaution bis zum Gericht freigelassen.

Ganz niedergeschlagen kam er nach Hause. Die Nachbaren fragten ihn, warum er denn keinen Tabak gebracht habe und gegen seine Gewohnheit so niedergeschlagen sei?

Der Vetter Gottlieb machte dann ein trotziges Gesicht und meinte: "die Gewitter hun mir mein Duwak abg’nomma, so scheener deitscher Duwak, un wollta mich eischmeißa, war ich hun mich losg’macht. Des loß ich awer net so drhicgeha, ich sich mein Recht, un wann s bis vorn Kaiser geht."

"No Gottlieb, du werscht doch net weiterklaga, dann des helft doch nir, bei onserm Gericht ziegt onserans jo doch immer dr Kerzra, - widerredete der Nachbar Fritz.

"Des ill ich seha, ich bin net onnötig in der Welt romkomma’ un loß mich net so leicht eisperra" ich hun schon anra’ Vögl g’seha, wie die in Saratow sei’."

"No geh vor, Nochber, du host wohl schon n Stanowoj g’seha?"

"Was, n Stanowoj, den Guwanier hun ich g’sehn, ja was Guwanier, Minister hun mit mir aa; Schnäppscha’ gtrunka’". (Wie er merkie, daß der Fritz Maul und Nas aufsperrte, geriet er in Eifer und fuhr in einem Atemzug fort:

"Dr Kaiser un der hot mr die Zeit gbotta’ un mit m Kop genuckt, soviel als wie: "Strafti Sum!"

Die solla mir nor a wink zu noh komma’, dena will ich schon weisa, was s haaßt mit m Vetter Gottlieb n Struwel zu hieha!"

Und er drohte mit der Faust un spuckte eifriger, denn sonst, neben dem "Peifabitz" hervor. Es vergingen einige Wochen und unser Vetter Gottlieb wurde vor Gericht verlangt. Er hatte sich zu verantworten wegen Handel mit verbotener Ware, mit Tabak, der nicht mit Akzise belegt gewesen war.

Er fuhr nach Saratow

Es vergingen Tage und Wochen, aber der Vetter Gottlieb kam nicht zurück. Man munkelte im Volke, er sei eingesetzt worden und büße seine Strafe im Gefängnis ab, aber "für Gewiß" wußte es niemand, wo denn der Vetter Gottlieb auslieb.

Der Nachbar Fritz machte sich Sorgen um den Gottlieb, konnte aber auch von den Familiengehörigen desselben nichts vernehmen.

Die Heuernte ging vorüber und der Roggen fing an gelb zu werden. Man wetzte die Sensen und besserte die "Recher" aus, denn bald gings in die Ernte. Da geschah es eines Sonntags Abends, als der Nachbar Fritz sich einmal wieder erkundigen wollte, daß er zu seiner großen Freude, den Vetter Gottlieb selbst vor sich stehen sah. Er traute Anfangs seinen Augen kaum und meinte, eine Erscheinung zu sehen und hätte bald anstatt "Gut’n owed" "was ist ihr Begehr!" gesagt.

Beide schüttelten sich herzlichst die Hand und ließen sich auf der Torbank nieder. Eben traten auch die "Wes Margaret" und "dr Handaniel", der Büttel des Kolonieamts herzu. Beide waren nicht weniger neugierig etwas über den Vetter Gottlieb zu erfahren.

"No vrzähl amol, wie gong drsch dann verm Gericht un wu warscht de dann so long?"

"Ja, wie gong mirsch dann?" Die Jesuwitter hun mer mein Duwak abgenomma, hatta mein "Salok" behalla’ und wollta’ mich zu guterletscht aach noch eisetza. Ich hun hna awr sonst was g’tu un sat: Wart, ihr Heiligdunnerwetter, ich will eich weit g’nunk bringa’, hun mei Bräucha’ eigstannt un bin strak noch Peterschborg g’fahra."

"No mach kaa Sacha’, noch Peterschborg?" riefen alle drei Zuhörer, wie aus einem Munde. Und der Nachbar Fritz fügte hinzu:

" Des is so mörderlich weit, do mußt du jo dein Gaul totgfahra hu?"

" No ja, so noh, wie von Jost noch Laub is s net, awer an der Welt En is s aach net: korzom en paar Tag wor ich in Peterschborg."

" No zu wem host d dich dann in Peterschborg gewendt, do host du doch gewiß ka’ Mensch und kaa’Seel gkennt" meinte die Wes Margret.

" Wie so dann? Ich bin dr doch mit dm Kaiser un seina’ Leit gleivoll ewa’ so gut bekannt, wie mit jederaam von euch."

Die drei schauten sich sprachlos vor Staunen an und richteten ihre Blick abermals auf den Erzähler. – Derselbe fuhr fort, anscheinend im höchsten Grade zufrieden mit der Wirkung seiner Mitteilung: " Wie ich in die Stadt kom, hun ich aa’ alti Fraa uf dr Gaß gfrogt: wohnt dann dr Kaiser immer Noch uf m alta’ Platz?" " Ija" , hot sie g’sat, " fahrt nor strack des Kreizgäßcha’ do nuf, dort in dr Kerchastroß hot r sei Haus, ihr werds schon seha’, s hot a’ neuaagstricha blo’ Tor."

Ich sa’t: " Spasiwa," un bin zugfahra. Un richtig, do kom aach s loa Tor raus. Ich schlag uf mei Bräucha’ los un ropp zopp! War ich dort: Brrr, hun ich g’rufa’, bin runnerg’stiege, hun die Leina festg’buna’ un wollt zum Tercha’ neigeh. Do gong s Tercha’ uf un aa’ klaa Bübcha’ von Johra 8 guckt raus. Wie des mich g’seh hot, hot s üwersch ganz Gesicht g’lacht un g’krischa’: " ach Herr Je, dr Vetter Gottlieb is komma’!" Tja hun ich g’sat, ija, mei’ Knecht, des bin ich, dr Vetter Gottlieb. Komm nor mol her un geb mer aa’ Patschhand. Ropp zopp war euch des klaa Kerlcha’ haus un hot mer aa’ Patschhand gewa, daß s nor so gschallt hot, dann hot mersch sei Schnutcha’ hiegstreckt zum Kuß. Ich hun mich g’bickt hun m mit Pelzzippa’ die Rotznas g’putzt un hun m n Schmatz gewa’, des is dr eich mol aa’ leitselig Kerlcha, dem Kaiser sei Bübcha’, des glaabt hr gar net."

" Jetzt seht nor mol aa’ Mensch oo!" meinte die Wes Margret.

" Is die Paapa dann drhaam?" hun ich s gfragt. " A kommt nor rei, er is von der Duma komma’, un will zu Mittag essa" hot s g’mant un bis ich mich umgguckt heb, warsch fort. Des war eich noch net so lang, wie ich s eich do vrzähl, un do war dr Kaiser selbst do: Gut Morget, Vetter Gottlieb, was macht ehr dann so lang do uf dr Gaß? hortig s Tor uf un rei, daß s Mittagessa’ net kalt wird. Hang’stoff! Hot r in Hof neigerufa’, mach mol scharf s Tor uf, dann dr Vetter Gottlieb is komma’."

" Do hot dr Knecht wol, werklich strakweg Hangstoff g’haaßa, wie unser Kälwerhert?" fragte etwas ungläubig der Büttel.

" Nu warom sollt r dann net Hangstoff haaßa’, des is dr grad n ganz passender Nama’ vor an Knecht! Korzom des war eich ropp zopp, un s Tor flog uf, un ich bin neigfahra’" . Eidu, eidu, hot dr Hangstoff g’maant, was werd sich awer unser Wäs fraada, wann sie hört, daß dr Vetter Gottlieb do is! Ich wollt s Tor zu macha’ awr des hot dr Kaiser net zug’lossa’: na, na, des tut der Hangstoff, loßt nor aach eier Bräucha steha’, der Knecht wird schon ausspanna’ un ach fors Heu un dr Hawer sorga’. Kommt nor rei in die Backhausstub!"

" Wie, auch a’ Backhaus war dort in Peterschborg?" fragte die Wes Margret.

" Ja no, wu hätta sie oann im Sommer sei solla’, wann net in der Backhausstub?"

Korzom ropp zopp hot r mich am Pelzärmel kriet un hinner sich her noch m Backhaus hieg’zoga’. Ich hun m eigredt: no, Vetter Kaiser, reißt mer nor net dr Aermel raus, ich wer schon komma, dann wann s ans Essa’ geht, loß ich mer kaan Aermel rausreißa. In der Zeit war awr der klaana Kujon zu seinra’ Mama ins Backhaus glossa’. Des war eich noch net so lang, wie mer " Amen" sagt un die Kaisern kom uf die Backhaustrepp raus im ma’ bloa Scherz un rufg’steckta Rock, daß dr Unnerstock rausgeguckt hot: Barmherziger un gerechter Vatter, des is euch so werklich der Vetter Gottlieb, aach willkommen! hot sie g’maant un hot mer die Hand hingestreckt. Ich saat, aach willkom, Wes Kaisern, seid ihr noch schee gsund? Tja hot sie g’sa’t wie d hr seht. No ja, sat ich, dr Farb noch, tät s glaab an dr G’sundheit net fehla!" No, dr Vetter Gottlieb macht awr immer noch die Späs so wie frühr, ich bin nor so rot im G’sicht von dr Hitz, dann ich back grad Pannakucha! ...

" Was Pannakucha? Machs nor orndlich Nachher," redete der Vetter Fritz ein, " die tät wohl aach’ Pannakucha backa?"

" A warom dann net? Essa tut sie jederaaner gern, warom soll sie sie dann net aach backa? Korzom, ropp zopp wara’ mer die Trepp drowa un im Backhaus drin. Do war n langa Tisch mit r Bank hina un vorna un uf m Tisch stond aa tichtige Schissel voll Pannakucha und n ganzer Rump voll Summersalat. Äääch! . . . Er macht eine Pause, als ob er sich in einer glücklichen Erinnerung wiege.

" Jetzt guckt amol: Pannakucha’ un Summersalat!" wiegte die Wäs Margret das Haupt, " a des is eich, meiner Seel, kaa’ Ge’eß?" –

" Des will ich waana, Pannakucha un Summersalat – ds is mei Lewa, saat net

unnettig unser alter Schulmaaster. Ich hun mich aach kaa zwaamol netiga lossa, un ropp zopp wara’ mir am Tisch un hun uns, hinner s Essa’ gemacht: do sin die Pannakucha’ nor so grutscht: vom Teller ins Maul un nunner, dann merb ware sie, wie Svatterkucha."

" Wie mir fertig essa’ wara’ hat die Kaisern weggeraamt, awer der Kaiser saat: " jetz wolla mir mol mir mol aa’Mittagschläfcha macha! Ich awr saat: naa’, dann ich hun großi Eil, die Ern steht vor dr Tür. Ei no, saat r, verzählt amol, was hät ihr dann uf m Herz.

Ich hun m alles korz und klaa runnerg’macht, wie mir die Spitzbuwa alles wegg’nomma hun un mich noch eisetza wolta. Wie der Kaiser des gehört hot, is r ufg’sprunga, vor Zorn so rot wora’, wie n Sickel un hot uf dr Tisch g’schlaga’, daß die Teller nor so g’rappelt hon: " do maant mer net, daß s Land besteha’ kennt, wu so aa’ Ungerechtigkeit ringeniert? kommt mol Vetter Gottlieb uf dr bara Stell in Senat: ich will mol seha’, ob ich dena net n Knop in ihra Tschekta bring," Uf dr Stell sen mir ufgstanna, un scharf gongs aus m Backhaus raus in Senat net, un ropp zopp wara mir dort."

" Wu? im Senat?" fragte wieder zweifelnd der Nachbar.

" Was is dann do so wunnerliches drbei? alla’ Gerichtssache komma doch in Senat; korzom mir komma in Senat. Wie mir do nei koma’, hun dreißig Schreiwer am ma’ langa Tisch gsotza’ un hun gschriewa, daß s nor so g’rauscht hot. Wie sie uns g’seha’ hun, sin sie ufgsprunga un hun do gstanna’ strack, wie Lichter. Dr Kaiser wor weiß, wie n toter vor Zorn: " Wu tut ihr dann m Vetter Gottlieb sei Broschenje leiha’ lossa, ihr Milljondonnerwetter; uf dr bara’ Stell macht r die Sacha fertig, sonscht soll eich dr Teiwel hola." Heei, gongs do dronner und drüwer, alle Schänk und Tischlada sin romg’wuhlt worra, bis mei Proschenja ans Tageslicht kom. " Daß die Sach in zwu Minuta’ fertig is!" hot dr Kaiser g’krischa. Heei! Floga die Federn üwers Papier, daß sie feierritzarot worra sin – un – ropp zopp wara sie fertig.

" Des gong awer scharf!" meinte etwas spöttisch der Büttel.

" No do wird aach net so g’schafft, wie bei eich im Kolnieamt; ich hat mei Entscheidung in der Hand un hun g’eilt, daß ich naus kom, dr Kaiser wollt mich üwer Nacht behalta’, awer ich hun s net g’tu, dann warom? Die Ern war vor dr Tür. Haamkomma, s Bräucha’ eispanna, dajessaga un drvofahra’ war in aam Ddemzug. Grüßt mer eier Fraa, hot mer dr Kaiser noch nochgkrische. Grüßt mer noch amol eier Alti, hun ich zurückg’rufa, hun uf mei Bräucha’g’schlage un fort gongs, was gifta’ was hofta, un ropp zopp war ich drham un kom grad noch recht zur Ern."

Eine lange Pause trat ein.

" Ja," raffte sich endlich dr Nachbar Fritz auf, wann mr dir so mitzuhorcht, gong des alles so scharf ropp zopp und doch warschte üwern Monat fort!"

" Ja ich muß awr neigeh, mei Alti wird schon wird schon bal zwatzlig mit m Nachtessa! Adje!" Der Vetter Gottlieb ging hinein.

Alle Anwesenden standen ebenfalls auf. Der Büttel wiegte mehreremals das Haupt. Nach einer kleinen Pause sprach er: " Ich mann, allweil hätt dr Gottlieb uns awr aans vorg’flunkert: Dr Wolf vrliert ewa die Woll, awr die Ruppa’ net."

Die Wes Margret guckte ihn etwas verwundert an und fragte: " Du glaabst wohl, der Gottlieb hätt die ganz Zeit strackweg im Dftrog g’sotza’ un weiter nir?"

" Du glaabst wol annersch?"

" Eieiei! Hnhmhm!" - - -

A. Lonfinger, Ropp-Zopp, in: Beiträge zur Heimatkunde des deutschen Wolgagebietes, Pokrowsk 1923, S. 80-83

Startseite  |   zurück   |   Inhalt   |   nach oben