Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil IV 1955 bis Heute

5 Neubeginn in Deutschland

5.8 Jugendliche

5.8.6 Familie

5.8.6.1 Bedeutung der Familie

Russlanddeutsche sind Familienmenschen. Die Familie wird hoch geschätzt.

Irina Maslowa:

  "Meine Eltern sind wirklich ganz okay. Wir haben miteinander keine größeren Probleme. Ich weiß, dass meine Eltern nicht viel Geld haben und sich nicht viel leisten können. Trotzdem kaufen sie mir bestimmte Sachen zum Anziehen, die ich gern haben möchte. Markenklamotten, die manchmal schon ziemlich teuer sind. Nicht gleich, aber nach einer gewissen Zeit machen sie es dann doch irgendwie möglich. Dafür bin ich ihnen echt dankbar. Eine Sache bekümmert mich allerdings: Meine Eltern sind, so meine ich, ein bisschen zu streng. Ich muss um 20 Uhr zu Hause sein. Andere in meinem Alter dürfen länger wegbleiben. Auch dann, wenn wir in unserer Clique zur Disko in den anderen Stadtbezirk fahren wollen, wo sich vor allem Russlanddeutsche treffen, dann geben sie mir nur manchmal die Erlaubnis dazu. Ich verstehe schon, sie wollen mein Bestes, sie fürchten, dass mir abends oder nachts in der Stadt etwas zustoßen könnte. Trotzdem könnten sie mir etwas mehr erlauben. Ich bin doch schon fast 16 Jahre alt..."

Walentina Bosserdt:

  "Doch ich kenne auch viele positive Beispiele. Besonders jüngeren Leuten fällt es leichter, sich einzugliedern und innerlich wohl zu fühlen. Mein Sohn hat in kurzer Zeit sehr gut Deutsch gelernt. Er spricht ohne Akzent. Es ist kaum zu merken, dass er nicht in Berlin aufgewachsen ist.
Mit Erfolg hat er die Schule absolviert. Er wird nach dem Wehrdienst eine Ausbildung als Kommunikationselektroniker absolvieren, also den Beruf erlernen, den er sich wünscht. Ich bin froh, dass alles so reibungslos abläuft. Das, was ich beim Weggang von Russland für ihn erhofft habe, ist eingetreten. In der Freude über ihn gibt es allerdings auch einen Wermutstropfen. Die Probleme des inneren Ankommens, die ich im Verhältnis zu meinen Kollegen und den Einheimischen spüre, treten auch in der Beziehung zu meinem Sohn in Erscheinung. Er spricht über die Dinge des Alltags, über Sport, Politik und Kultur hier in Deutschland wie selbstverständlich, ohne das geringste Anzeichen von Fremdheit.
In Russland kannte auch ich zum Beispiel die wichtigsten Fußballspieler mit Namen und war mit dem Spielgeschehen einigermaßen vertraut. Jetzt ist Andrej zuweilen ungeduldig mit mir, wenn ich mir wieder nicht einmal den Namen eines Hertha-Spielers merken kann. Ähnlich ist es bei anderen Themen. Mitreden zu können, einen gemeinsamen Wissensstand zu vielen Themen auch in der Familie zu besitzen sind in meinem Verständnis wichtig. Oft beobachte ich, dass sich in Aussiedlerfamilien die Eltern und Kinder sehr schnell auseinanderleben und sich nicht mehr viel zu sagen haben. Ich will das vermeiden. Deshalb spüre ich auch im familiären Bereich dieses Anderssein von mir als schmerzhaft. Und deshalb strenge ich mich an, um wenigstens auf bestimmten Gebieten auf dem Laufenden zu sein."

(Kulturarchiv der Russlanddeutschen)

 
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