Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil III 1917 - 1955

1. Die Oktoberrevolution und ihre Auswirkungen auf die Russlanddeutschen

1.4 Das Dekret über den Grund und Boden und die Russlanddeutschen

1.4.1 "Kulaken"

Das Wort symbolisiert den Reichtum an Grund und Boden, Vieh und landwirtschaftlichen Geräten, der in einer Hand – Kulak bedeutet im Russischen Faust – konzentriert war. Zugleich war es aber auch ein Synonym für "Wucherer" oder "Dorfkapitalist". Beide Bedeutungen haben historische Wurzeln. Sie wurden aber erst im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft [siehe hier]  link von Partei- und Staatsfunktionären und von Bauern selbst inflationär gebraucht. Sie dienten dabei zur Kennzeichnung vorhandener oder vermeintlicher Ausbeutungsverhältnisse und zur Rechtfertigung der "Entkulakisierung", der Beseitigung der Schicht wohlhabender Bauern.

Die Zuordnung zur Schicht der wohlhabenden Bauern wurde von den kommunistischen Partei- und Staatsfunktionären unterschiedlich und vielfach willkürlich vorgenommen. Sie hatte von Anfang an politische Zwecksetzung.

Einen Anhaltspunkt für die Einstufung als Kulak gibt die 1928 eingeführte Festlegung der Bauernwirtschaften mit individueller Besteuerung. So heißt es in den Erläuterungen des Gesetzes über die einheitliche Landwirtschaftssteuer vom 21. April 1928:

  "1. Die Festsetzung der Höhe des mit der einheitlichen Landwirtschaftssteuer zu belegenden Einkommens im individuellen Verfahren wird bei den besonderen Einzelbauernwirtschaften durchgeführt, die durch ihren nichtwerktätigen Charakter und die Höhe ihre Einkünfte aus der Gesamtmasse der Bauernwirtschaften der betreffenden Gegend hervorstechen.

Zu den Kennzeichen, die den nichtwerktätigen Charakter der Wirtschaften und das Vorliegen nicht vollständig erfaßbarer Einkünfte festlegen, gehören allgemein Aufkauf und Verkauf, Wucher, das Vorhandensein komplizierter landwirtschaftlicher Maschinen zu dem Zweck, aus ihrer Vermietung Gewinn zu erzielen, Führung der Landwirtschaft durch systematische Beschäftigung von Lohnarbeitern, das Vorhandensein eines gewerblichen Nebenbetriebs [z. B. einer Mühle oder einer Ölmühle mit Produktion für den Markt (polutovarnyjtip)] usw. ..."

( Quelle: "Auszüge aus den Regeln des Volkskommissariats für Finanzen der UdSSR vom 28. April 1928". In: Sowjetmacht und Bauern. Dokumente zur Agrarpolitik und zur Entwicklung der Landwirtschaft während des "Kriegskommunismus" und der Neuen Ökonomischen Politik, herausgegeben v. Stephan Merl, S. 222 – 223)

Wie dehnbar dieser Begriff angelegt werden konnte, zeigte sich z. B. im Kampf der Sowjetmacht gegen die Kulaken in deutschen Siedlungsgebieten, wo oft ganze Dörfer durchgängig als kulakisch eingestuft worden sind oder auch beim Brechen des Widerstandes der Bauern gegen die Zwangskollektivierung, wo zuletzt jeder – auch Kleinbauer – als Kulak diffamiert wurde, sofern er nicht "freiwillig" in den Kolchos eintreten wollte. Als Kulaken wurden nun auch Bauern bezeichnet, die mehr als zwei Kühe oder Pferde und ein "besseres Haus" besaßen oder Überschüsse produzierten.
 
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