Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil III 1917 - 1955

4 Deutschland und die Russlanddeutschen

4.1 Die Weimarer Republik und die Russlanddeutschen

Wie bereits in der früheren Geschichte der Russlanddeutschen zu beobachten war, verbesserten sich deren Lebensbedingungen, wenn sich die Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem zaristischen Russland bzw. Sowjetrussland stabil und positiv entwickelten. Dies gilt auch für die Auswirkungen des Vertrages von Rapallo (April 1922) über die Aufnahme diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen beiden Staaten. Neben der Durchbrechung der totalen internationalen Isolierung verfolgte Sowjetrussland das Ziel, mit Hilfe deutschen Know-how's und deutscher Technik die zerrüttete Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die Entwicklung und der Ausbau beiderseitig vorteilhafter Wirtschaftsbeziehungen war ein wichtiger Beitrag zur schrittweisen Umsetzung der 1921 in Sowjetrussland eingeleiteten Neuen Ökonomischen Politik (siehe auch hier link), die zu einer kurzfristigen wirtschaftlichen und politischen Erholungsphase auch für die Russlanddeutschen führte.

Infolge der Orientierung auf eine Konsolidierung der Beziehungen zur Sowjetunion fanden in Deutschland auch zunehmend jene Gruppen und Einrichtungen Gehör, die sich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Russlanddeutschen einsetzten. Erste, wichtige Beispiele dafür sind die Aktivitäten zur Unterstützung der Russlanddeutschen während der infolge Bürgerkrieg, Intervention und Kriegskommunismus sowie von Missernten 1921 und 1922 im Wolgagebiet grassierenden Hungersnot. Insbesondere nach Deutschland emigrierte Russlanddeutsche und ihre Verbände sammelten für ihre "Brüder in Not". Unter dem Dach des "Wolgadeutschen Vereins", durch Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes, der Caritas und weiterer Hilfsorganisationen wurden hunderte Tonnen Lebensmittel sowie Medikamente im Wolgagebiet verteilt. Deutsche Ärzte halfen beim Kampf gegen Epidemien. Das von wolgadeutschen Emigranten in den USA und Deutschland gegründete "Hilfswerk der Wolgadeutschen" setzte seine Hilfe bis 1923 fort. Diese Aktivitäten waren Teil der umfangreichen internationalen Hilfsmaßnahmen (siehe auch hier link ).

Die vielfältigen, territorial und sozial differenzierten Verbände, die Russlanddeutsche in Deutschland gegründet hatten, weckten das Interesse an dieser Volksgruppe. Unter dem Dachverband "Zentralkomitee der Deutschen aus Rußland" leisteten sie humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und Auswanderer, klärten über das Leben der Deutschen in der Sowjetunion auf und beeinflussten diesbezüglich die öffentliche Meinung.

Die Machtergreifung der Bolschewiki wiederbelebte jedoch auch eine "zweite Traditionslinie" in der Politik des Deutschen Reiches gegenüber Russland, die – wie schon zur Kaiserzeit – auf eine politische Unterwerfung des europäischen Ostens zielte. Die Russlanddeutschen sollten bei der Verwirklichung dieser Pläne eine wichtige Rolle spielen. Die Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen wissenschaftlichen Institutionen zum Auslandsdeutschtum bzw. zur deutschen Minderheitenforschung in Osteuropa und die entsprechenden staatlichen Dienststellen begannen sich daher in den zwanziger Jahren mehr und mehr mit dieser Volksgruppe zu beschäftigen.
 
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