Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil II 1820 - 1917

5 Rolle der Schule

5.2 Lehrer

5.2.1 Klassenstärke

5.2.1.1 Bericht von A. A. Klaus

Alexander A. Klaus beschreibt in seinem Revisionsbericht vom Winter 1867/68 den Schulalltag in die Kolonie Grimm (Lesnoj Karamysch):

  "Das Schulhaus hat ein anständiges Äußeres, ist von beachtlicher Größe und besteht aus einem Saal mit 18 Fenstern an der Langseite. Ich fand darin 450 Lernende - darunter ca. 100 Mädchen im Alter von 7 bis 15 Jahren. Das war aber nur die Hälfte - die sog. Vormittagsschule. Die übrigen 450 Kinder kommen am Nachmittag zum Unterricht. Alle saßen auf sehr schmalen, dünnen und langen Brettern oder Bänken und hielten ihre Bücher frei in den Händen, weil keine Tische vorhanden waren. Der Lehrer hatte einen Gehilfen, der sich mit den ABC-Schützen (ca. 100) mit halblauter Stimme, und zwar mit jedem einzelnen, beschäftigte, während der Lehrer das laute Lesen der Testamentschüler abhörte. Die Antworten in den übrigen Lehrfächern wurden ständig in laut schallendem Chor gegeben.

Am Fenster erblickte ich eine frische Weidenrute von einem halben Zoll Stärke und einem Arshin (1 Arshin = russisches Längenmaß,0,71 Meter / der Verf.). Die Kinder saßen sehr dicht gedrängt in von Schnee durchnäßten Oberkleidern und Schuhen. Fast allen stand der Schweiß auf dem Gesicht. Ungeachtet dessen, daß die Sonne am Morgen schien, konnte man im Saal kaum lesen - dermaßen war er voller Dampf.... Man kann sich schon denken, daß unter solchen Verhältnissen von einem Unterricht im Sinne einer geistigen Entwicklung auch keine Rede sein konnte. Alles beschränkte sich auf die strenge Erhaltung der Schuldisziplin, ohne welche es selbstverständlich auch nicht möglich war, diese Masse von lebendigen Körpern in unbeweglicher Ordnung zu halten...."Ich lese" - so erklärte ein Lehrer, "den Schülern jede Frage 30-50 mal vor und lasse die Schüler dieses nachmachen. Dann lasse ich dasselbe alle 50-100 mal nacheinander singend hersagen, dann gebe ich 5-10 Schläge auf die Hände demjenigen, der mir das nicht auswendig hersagen kann." Noch 1907 äußerte sich Probst Johannes Kosciol aus der Wolgakolonie Gnadental ähnlich, betonte aber auch die Leistungen der Lehrer bei der Wissensvermittlung (vgl. Elementarbildung). Und Pfarrer Johannes Kufeld berichtet gar 1915, dass sich Kolonisten vielfach die alte Schule mit überfüllten Klassenzimmern, dem Auswendiglernen und dem Prügelstock zurück wünschten, auch weil sie wenig kostete. Pädagogen der neuen Generation mit ihrer freieren Unterrichtsführung hätten sie beschuldigt: "Bei euch lernen ja die Kinder nix. Ihr gebt jo nix uff un stroft jo aach nett. Do hatte mir´n Schulmester, wie mir noch in de Schol gänge, d´r hot am gehage (gehauen), daß die Fetze vom Stock g´flogen sein. Do wor Forcht, un is ewer ach wos g´lernt worre, nett so wie alleweil (jetzt)."
Das war zweifellos Ausdruck für einen bestimmten Konservatismus der Wolgakolonisten.
 
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