Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil II 1820 - 1917

6 Kulturelles Leben bei den Russlanddeutschen

6.2 Sitten und Bräuche

6.2.1 Familienleben

6.2.1.7 Himmelfahrt und Pfingsten

6.2.1.7.1 Pfingstreiten im Beresan

   "Schon drei, vier Wochen vor dem Pfingstfeste begann unter den großen Buben ein reges Leben, das bevorstehende Fest wurde genau beraten, die dazu notwendigen Kleidungsstücke und andere Gegenstände in Ordnung gebracht. An Sonntagnachmittagen wurden auch mit den dazu bestimmten Pferden auf freiem Felde die entsprechenden Uebungen vorgenommen. Am Pfingstreiten waren gewöhnlich Buben im Alter von 18 - 21 Jahren beteiligt, selten jüngere oder ältere, Männer gar nicht. Aus ihrer Mitte wählten sie dann einen Obersten, zwei Offiziere und zwei Kosaken, die übrigen waren Soldaten. Die Offiziere und der Oberst führten das Kommando, während die Kosaken hauptsächlich für Ordnung sorgten.

Bei den Zigeunern spielte das Alter keine so wichtige Rolle, sie wurden gewöhnlich gedungen und mußten recht komische Kerle sein. Die Kleidung der Offiziere mußte standesgemäß, d.h. der Kleidung der Kavallerieoffiziere ziemlich ähnlich sein, so auch die der Kosaken ebenfalls nach Art der Kosaken. Die übrigen waren wie gewöhnliche Soldaten gekleidet, aber anstatt der Montur hatten sie weiße Hemden an, um die Mützen waren Bänder gewunden, aber eine Farbe für alle. Die Pferde waren mit verschiedenen Bändern geziert. Offiziere und Kosaken hatten Sporen an den Stiefeln und waren mit Säbeln bewaffnet, ihre Pferde gesattelt, während die Soldaten anstatt Sattel Teppiche benutzten, Waffen hatten sie keine. Die "Zigeuner" waren mit alten Lumpen sehr zottelich gekleidet, ihr Gesicht und Hände mit Wichs oder Ruß eingeschmiert. Manchmal waren sie zu zweit, zu dritt oder zu viert.

Das Fest wurde am Pfingstmontag nach dem Nachmittagsgottesdienst abgehalten. Der Aufzug begann an einem Dorfende und zog in folgender Ordnung durch die Hauptgasse: Einer ritt voraus mit dem Pfingststrauß, ihm folgten in schönen Reihen die Soldaten mit den Offizieren und Kosaken zu beiden Seiten, ihnen folgte ein Musikorchester, das Lied "Ich bin Soldat und bleib Soldat", welches die Reiter singend begleiteten, und schließlich noch in einiger Entfernung der gebrechliche zweirädrige Zigeunerwagen mit einem zottelichen Verdeck. Ein Zigeuner saß rückwärts auf dem Pferde und scheute keine Mittel, um das trotzige Geschöpf von der Stelle zu bringen, ihm kam auch noch der zweite und dritte zur Hilfe, endlich gelang es ihnen doch, dem Zug irgendwie zu folgen. Dem ganzen Zug folgte eine tausendköpfige Menschenmenge und eine große Kinderschar, welche bestrebt war, die Zigeuner durch Neckerei und Spötteln in Zorn zu bringen, dafür bekam ein mancher einen Peitschenhieb. Kleineren Kindern flößten die Zigeuner oft Schrecken ein. Am Landungsplatze, zu welchem Zweck ein ziemlich freier Ort auf der Hauptgasse bestimmt war, standen ein Tisch mit Bier und einige Stühle. Hier angekommen, wandte sich der Hauptmann oder einer von beiden Offizieren ungefähr mit folgenden Worten an das Publikum: "Wir sind gekommen aus Oesterreich und werden nicht lange hier verbleiben, wir wollen heute noch weiter reisen, der Weg führet uns ins deutsche Reich." ...

Dann ritten alle mehrere mal um den Tisch herum und stellten sich dann um denselben im Kreise auf, während der Oberst und die Offiziere ihre Plätze am Tische einnahmen. Den Zigeunern war es nicht gestattet, sich dem Kreise zu nähern, doch suchten sie demselben näher zu kommen und sogar hier und da eine Flasche Bier vom Tische wegzustibitzen oder sich heimlich auf ein Pferd zu setzen und davon zu jagen.

Wurden sie dabei von den Kosaken ertappt, so bekamen sie eine bestimmte Zahl Prügel. Ueberhaupt war es Aufgabe der Zigeuner, durch ihre Witze, Dummheiten und tolle Streiche dem Volke möglichst viel Vergnügen zu machen. Die Soldaten bekamen von Zeit zu Zeit ein Gläschen Bier.
Hier wurden noch einige Volkslieder gesungen, z.B. "Ich hab erblickt das Licht der Welt", "Steiget auf, auf hohen Berge und schauet hinunter in das tiefe Tal", "Es braust ein Ruf wie Donnerhall".
Dann stellte sich ein Offizier auf den Tisch und sprach die Predigt, zu der die Zigeuner ihre witzigen Bemerkungen machten. Jetzt wurde das Lied "Die Zeit ist da zum scheiden aus meinem Vaterhaus" angestimmt, und es ging hinaus in voller Ordnung aufs freie Feld, wo dann mit einem Wettrennen um den Pfingststrauß das Fest geschlossen wurde. Der Held brauchte keine Zahlungen zu leisten, die mit dem Fest verbunden waren. Tänze fanden keine statt. Zu diesem Feste kam gewöhnlich eine große Zahl junger Leute aus den Nachbardörfern herangefahren."
 
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