Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil II 1820 - 1917

6 Kulturelles Leben bei den Russlanddeutschen

6.2 Sitten und Bräuche

6.2.1 Familienleben

6.2.1.6 Ostern

6.2.1.6.1 Charwoche und die Rätschebuwe

In der Charwoche (Karwoche) war überall in den Kolonien ein reges Leben und fleißiges Arbeiten. Besonders hatten die Weibsleute alle Hände voll zu tun. Denn zu Ostern musste alles in Haus und Hof gereinigt werden und die verschiedenen Bedürfnisse zum Ostertisch herbeigeschafft und zubereitet werden.

Doch die wichtigsten Leute in diesen Tagen waren die Rätschebuwe. Nach dem Gebrauch der katholischen Kirche schwiegen die Glocken. Sie wurden erst am Samstag wieder geläutet. Während dieser Zeit versahen die Rätschebuwe den Dienst der Glocken. Die Rätschebuwe waren gewöhnlich die ältesten Schüler der Pfarrschule. Jeder hatte eine Rätsche, ein mit einer um ein Brettchen drehbaren Kurbel versehenes, hölzernes Instrument, das bei raschem Umdrehen einen grellen Ton von sich gab. Die Rätschebuwe verteilten sich nach den verschiedenen Gassen des Dorfes; und am Ende desselben angekommen, drehten sie alle zugleich ihre Rätschen, was ein großes Geräusch ergab. Nachdem sie etwa 5 Minuten gerätscht hatten, erhob der Anführer seine Rätsche, blieb stehen und alle sangen morgens:

"Der Tag fängt an zu bleichen
Den Armen wie den Reichen.
Ave Maria, gratia plena!"

Mittags:
"Ihr Leut', ihr Leut', was wollen wir Euch sagen!
Das Glöcklein hat zwölf geschlagen.
Ave Maria, gratia plena!"

Abends:
"Ihr Leut', ihr Leut', s' ist Betglockzeit!
Ave Maria, gratia plena!"

In die Kirche einladend:
"Es ist das erste (oder zweite, letzte)
Mal in d' Kirich."

Für diese Mühe und Arbeit holten sich die Rätschebuwe an Charsamstag nach dem Gottesdienst ihren Lohn, indem sie mit einem Korb von Haus zu Haus gingen und sangen:

"Wir haben gerätscht über das heilige Grab,
So gebt uns auch eine Ostergab!
Nicht so groß und nicht so klein,
Daß es geht in's Körbele nein."

Wenn sie dann eine Gabe (Eier oder Geld) erhalten, sangen sie:
"Das ist das allerschönste Haus,
Do gucken drei Engel zum Fenster raus."
 
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