Geschichte der Russlanddeutschen

Auswanderung der Deutschen

Teil 1 1763 - 1820

5 Anfang und Aufbau

5.4.1.1 Tochterkolonien

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zur Gründung neuer Siedlungen, die zunächst in der Nähe der zuerst angelegten Siedlungen - der Mutterkolonien - entstanden. Ursache war die Landknappheit in den einzelnen Gemeinden.

Die Landknappheit führte zu einer Binnenwanderung in weiter östlich gelegene Gebiete Russlands. Über das Dongebiet und den Nordkaukasus wurden dabei auch Westsibirien, Kirgisien und Kasachstan erreicht.

In den Familien der Kolonisten waren sechs, acht und mehr Kinder keine Seltenheit. Die Kinder brachten zwar ihre Arbeitskraft in die Entwicklung der elterlichen Höfe ein. Aber der Kinderreichtum führte auch dazu, dass die bestehenden Arbeits- und Wohnverhältnisse bereits in der zweiten Generation an ihre Grenzen stießen. Zusätzliches Bau- und Ackerland musste durch die Gemeinden zur Verfügung gestellt werden. Da die neuen Höfe an den bisherigen Dorfausgängen angelegt wurden, dehnten sich die Dörfer immer weiter aus, so dass um 1800 einige bereits eine Länge von mehreren Kilometern hatten.

Die verheirateten Kinder lebten zwar zunächst noch auf dem väterlichen Hof. Spätestens nach der Geburt von Kindern musste dann für das junge Ehepaar ein eigenes Haus gebaut werden. Das Paar erhielt dem Mir-System folgend einen Landanteil vom väterlichen Hof zugewiesen. Durch diese, den ursprünglichen Bestimmungen widersprechende Praxis (Minorat) kam es zu einer immer stärkeren Zersplitterung und Verkleinerung der den einzelnen Familien zur Verfügung stehenden Landfläche. Die Verarmung einiger Familien war die logische Konsequenz. In der Kolonie Gorodok entfielen laut Einwohnerliste von 1807 nur noch 3,5-7 Desjatinen Land auf eine Person. Diese negative Entwicklung setzte sich in allen Belowesher Dörfern fort und konnte durch die Gründung von Tochterkolonien nur zeitweise aufgehalten werden.

Bereits in seinem Manifest vom 20. Februar 1804 hatte Zar Alexander I. deutsche Bauernfamilien zur Ansiedlung am Schwarzen Meer aufgerufen. In Dörfern der Belowesher Kolonie wurde nun über die Gründung einer Tochterkolonie diskutiert, um so einen Ausweg aus dem akuten Landmangel zu finden. Den Gemeindemitgliedern wurde nahegelegt, sich für die Gründung einer Tochterkolonie zu entscheiden. Aber erst 1817 hatte man sich zur Wahl von Vertrauensleuten und von Delegationsführern durchgerungen. Vertrauensleute und Delegationsführer legten in den folgenden Jahren den Gemeinden einen Ansiedlungsplan vor, der durch Selbstbesteuerung finanziert werden sollte. Jede an der Gründung beteiligte Familie hatte entsprechend der Größe ihrer Wirtschaft einen Beitrag zu leisten. Man einigte sich auf einen Kompromiss, der die vermögenderen Bauern zu Sonderleistungen (z. B. mehr Spanndienste zur Beschaffung von Baumaterial) verpflichtete. Erhebliche finanzielle Mittel waren für die Erstausstattung der Tochterkolonie notwendig. Neben landwirtschaftlichen Geräten wie Wagen, Pflug, Egge mussten Vieh, Brot- und Saatgetreide sowie Futtermittel gekauft werden. Nach Klärung dieser Fragen konnten genauere Erkundungen über das zu besiedelnde Land eingezogen werden. Die im Schwarzmeergebiet gesammelten Eindrücke schreckten zunächst aber von einer Besiedlung ab. Es handelte sich um bisher nur als Viehweide genutztes Steppenland. Auch die Bedingungen, unter denen dort die ersten Siedler (Mennoniten) lebten, luden nicht ein.

Es wurde aber ein Ablaufplan erstellt, nach dem die Ansiedlung dann auch erfolgte: 1823 sollten die ersten Siedler in die Tochterkolonie ziehen, 1824 die nächsten und 1825 die letzte Gruppe.

Aber erst im Mai 1831 trafen die ersten Siedler in der zu gründenden Tochterkolonie – sie lag ca. 750 km von der Mutterkolonie entfernt – ein.

Auf die fünf zu gründenden Dörfer wurden jeweils 26 Familien verteilt. Jede Gemeinde war mit 1.800 Desjatinen ausgestattet. Nach der Landvermessung und -zuweisung an die einzelnen Familien konnte die Gründung der Tochterkolonie als beendet betrachtet werden. Die Anlage der Tochterkolonie war der der Mutterkolonie nachempfunden. Es handelte sich auch hier um ein typisches Straßendorf.
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